Julius Lawhead 2 - Flammenmond
sagte sie nüchtern und lehnte sich mit geschlossenen Augen zurück.
Ich drückte sie an mich. »Trink von mir und öffne die Siegel«, flüsterte ich und hob mein Handgelenk an ihren Mund. Zögernd schlossen sich ihre Lippen um die Wunde, und sie sog die wenigen Tropfen auf, die mein Körper zu geben bereit war.
Das Blut war die Brücke.
Ich zog sie mit der freien Hand noch enger an mich und tauchte in die Siegel, die uns verbanden. »Komm mit mir«, flüsterte ich in ihr Haar, »verlass deinen Körper und komm mit mir. Sieh, was ich sehe.«
Amber folgte meiner Stimme, meinem Blut. Sie folgte der Magie, bis sie in meinem Herzen war und damit auf meiner Seite der Siegel. Ich hatte die Kraft des dritten Zeichens nie zuvor ausprobiert. Wo ich Amber bisher nur willentlich Bilder schicken konnte, sah sie nun durch meine Augen und, was wichtiger war, mit meinen Sinnen.
»Oh Gott, das ist wunderschön« , dachte sie mitten in meinen Gedanken.
Die Geräusche der Nacht stürmten auf sie ein. Der Fluss rauschte in zahllosen Melodien, Vögel sangen in den Mimosenbüschen und der schwache Wind, den sie zuvor nicht einmal gehört hatte, flüsterte im Gras, rieb trockene Blätter aneinander und trieb feinen Sand vor sich her.
Und dann war da der Herzschlag, meiner und ihrer, ein Gleichklang, der eine dumpf, der andere heller, und das Blut in unseren Adern, das von Leben und Überleben sang.
»Jetzt sieh«, forderte ich und Amber sah, sah meilenweit und erblickte endlich meine Nacht. Vampiraugen nutzten auch das letzte Fünkchen Sternenlicht. Meine Welt war bunt, nicht grau wie die Dunkelheit der Sterblichen. Zahllose Facetten von Blau und Grün, ja, das war es vor allem, und Rot.
Rot war die Farbe von Leben und Tod gleichermaßen, Blut und Sonnenaufgang. Gelb war uninteressant, und ich konnte nicht einmal bestimmen, ob ich verschiedene Gelbtöne überhaupt auseinanderhalten konnte.
Ich legte für Amber den Kopf in den Nacken.
An den Zweigen über uns schaukelten die letzten Herbstblätter und sie strahlten in meinen Farben: leuchtendes Rot wie frisches, sauerstoffreiches Blut, dunkleres, sattes Herzblutrot und unendlich viele Abstufungen davon.
Über den Ahornblättern funkelten die Sterne, unzählige, Abermillionen, und neben der Milchstraße der Mond, der so hell war, dass es in den Augen schmerzte.
Im Westen verlor der Himmel seine Farbe und die Sterne ihre Kraft. Die Sonne kündigte sich an und saugte die Schönheit aus meiner Welt. Es wurde bald Zeit für mich zu verschwinden.
Ich ließ Amber noch eine Weile schauen, dann versiegte mein Blut und die Bindung verblasste. Als sie endgültig gebrochen war, wandte sich Amber in meinen Armen um und blickte mich an. Ihr Zeigefinger fuhr meine Brauen nach. Ich beugte mich vor, um sie zu küssen, doch Ambers Lippen streiften zuerst meine Augenlider und erst dann meinen Mund.
Ich schmeckte mein Blut in ihr.
Wir küssten uns, bis ich die Warnungen meines Körpers nicht mehr länger ignorieren konnte. »Die Sonne geht auf, mein Herz«, flüsterte ich.
»Jetzt hast du es wieder geschafft.« Aus ihrem Lächeln wich ein Teil der Freude, als sei Schatten darauf gefallen.
»Was denn?«
»Du hast mich manipuliert, mir so sehr den Kopf verdreht, dass ich überhaupt nicht mehr mit dir diskutieren will.« Amber seufzte und kletterte den Felsen hinunter. Ich sprang einfach hinterher. Eilig, aber ohne Hast verließen wir das Flussufer. Dann blieb sie stehen.
»Ich bin nicht deine Marionette. Wenn sich nichts ändert, dann musst du dir eine andere suchen.«
Wie gelähmt verharrte ich im Schatten eines Baums.
»Wenn es in deiner Welt so wichtig ist, Regeln einzuhalten, Julius, dann fällt es dir sicher nicht schwer, dir noch eine weitere zu merken. Meine Gedanken und Gefühle sind für dich absolut tabu!«
»Okay, versprochen.«
»Wirklich?« Sie musterte mich mit ihren Ozeanaugen, als unterziehe sie jede Faser meines Körpers und meiner Seele einer Prüfung. Zu meiner Überraschung reckte sie sich und drückte mir einen Kuss auf den Mund, dann zog sie mich an der Hand weiter.
»Komm jetzt, ich will nicht, dass mein frisch geläuterter Freund in der Sonne verschmort.«
KAPITEL 11
Amber war seit über zwanzig Stunden auf den Beinen. Dennoch hatte sie nicht das Gefühl, schlafen zu können. Zu viele Überlegungen und schreckliche Bilder spukten in ihrem Kopf herum.
Amber seufzte und trank hastig ihren Tee aus. Vielleicht würden ihr die beruhigenden Kräuter helfen.
Als
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