Julius Lawhead 2 - Flammenmond
Tür auf, und da lag sie, auf der Seite, die Hände in den Unterleib gekrampft. Scheinbar wehrlos wie ein kleines, krankes Tier. Doch Christina war alles andere als ungefährlich.
Sie hatte die Menschen längst gewittert und war jederzeit bereit sich auf sie zu stürzen. Ich fasste sie an beiden Handgelenken und zog sie auf die Beine. Ihre Zähne schlugen klappernd aufeinander.
»Gleich tut es nicht mehr weh. Du wirst Blut bekommen«, flüsterte ich.
Je weiter wir uns den Menschen näherten, desto mehr lehnte sie sich gegen meinen Griff auf und drängte zu Amber und dem alten Mann.
»Nicht sie, wir gehen hinein.«
Amber lief vor und bat uns hinein.
Auf der Couch schlief Cloud und sie hatte den Namen wirklich verdient. Die Indianerin war ungefähr vierzig, doch das Alter war bei ihrer Leibesfülle schwer zu schätzen. Wie eine unförmige Wolke bedeckte ihr Körper das Sofa. Sie schlief unter einer alten Decke. Auf einem selbstgezimmerten Schränkchen zu ihren Füßen lärmte ein kleiner Schwarz-weißfernseher. Christina bleckte die Zähne. Ihr Hunger duldete keinen Aufschub mehr.
Ich hörte, wie uns der alte Mann in die Hütte folgte, zog Christina mit mir und beugte mich zu der schlafenden Indianerin.
In dem runden Mondgesicht öffneten sich zwei kleine Augen. Ich schenkte ihr meinen Charme, lächelte. Sie erwiderte meine Geste, dann war sie auch schon ohnmächtig.
»Das Handgelenk und mit Ruhe, Chris.«
Vorsichtig langte die Vampirin nach Clouds Arm, drehte die Innenseite nach oben und schlug zu.
Ich wandte mich zu dem alten Indianer. Die Anspannung wich aus seinen Schultern. Seine Tochter litt nicht. Es geschah alles so, wie ich es versprochen hatte.
Christina schluckte laut. Die Zeit schien sich endlos zu dehnen. Ich ließ meinen Blick in der ärmlichen Behausung umherschweifen und entdeckte auf einem kleinen Sims eine Uhr. Wir hatten noch vier Stunden Zeit bis zum Treffen mit Coe, das war mehr als genug. Trotzdem drängte alles in mir zur Eile .
Dann gab es ein sattes, schmatzendes Geräusch. Christina hatte von Cloud abgelassen und hielt den feisten Arm der Indianerin mit beiden Händen umklammert.
Ich presste meinen Mund auf die Wunde. Trank sie sauber, schloss sie und stand auf.
Christina hockte noch immer irritiert am Boden neben ihrem Opfer. Sie wusste nicht, wie sie hergekommen war. Ich half ihr hoch. Wir brachen sofort auf.
Red Deer folgte uns und blieb in der Tür stehen.
Ich machte auf halber Strecke zum Wagen kehrt und ging noch einmal zu ihm zurück.
Wir verweilten einen Moment schweigend voreinander, und ich sah diesem außergewöhnlichen Menschen in seine dunklen, wissenden Augen.
»Danke«, sagte ich unsicher.
Der Indianer rieb sich nachdenklich den Nacken. »Wie alt ist Flying Crow?«
Wieder diese Fragen nach Brandon. Was sollte das?
»Er begann sein sterbliches Leben vor etwas mehr als hundert Jahren, warum?«
»Ich muss mit ihm sprechen. Bring ihn her.« Red Deer löste eine Schnur von seinem Hals und reichte mir ein kleines Beutelchen, das zuvor verborgen unter seinem Hemd gehangen hatte. »Gib ihm das. Es wird ihm helfen. Und sag Flying Crow, dass ich mit ihm über unser Volk reden will.«
»Das werde ich. Ist das alles, was Sie von mir erbitten?«
Der Alte nickte, drehte mir den Rücken zu und ging ins Haus.
Die Tür schlug zu, und ich stand immer noch da mit dem Lederbeutelchen in meiner Hand. Ich fühlte matten Zauber darin, doch es war eine Magie, die mir fremd war und außerdem nicht für mich bestimmt.
Neugierig wog ich es in meiner Hand. Es roch nach Leder und Schweiß, darunter lag der schwache Duft von Kräutern und altem Tod.
»Julius?«
Ich schob den Talisman in meine Hosentasche und lief zurück zum Wagen.
KAPITEL 13
Gegen halb zehn am Abend passierten wir das erste Schild, das neben der Ortschaft Page am Lake Powell auch unser Ziel Cameron anzeigte.
Eine halbe Stunde später mehrten sich Häuser und Trailer zu beiden Seiten der Straße. Hier und da dösten Pferde und magere Rinder in kleinen Corrals.
Es gab Parkplätze, auf denen feste Zelte und Hütten aufgebaut waren. Handgemalte Schilder warben für frittiertes Brot, Trockenfleisch, Schmuck, Keramik und die allgegenwärtigen Traumfänger.
Christina, die bislang derart stumm und reglos auf dem Rücksitz gesessen hatte, dass man sie kaum wahrnahm, wurde zunehmend unruhig. Als wir das Ortsschild von Cameron passierten und zur Rechten eine Tankstelle auftauchte, begann sie zu weinen. Ich
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