Julius Lawhead 2 - Flammenmond
erschrocken auf. Ich hatte Coe nicht kommen hören und blickte jetzt in eine entsetzlich verzerrte Fratze. Er lachte leise und zischend. »Aber ich fürchte, Indianer befindet sich heute nicht auf dem Speiseplan. Er ist ein wenig … ausgelaugt.«
»Wo ist Brandon?«
»Sicher verwahrt«, erwiderte Coe, und ich wusste aus tiefstem Herzen, ich würde diesen Mann früher oder später töten.
Er kam auf mich zu und streckte mir seine Rechte entgegen. Die Haut über den Knöcheln war narbig und pergamentdünn. Als ich seine Hand ergriff, hatte ich das Gefühl, die Haut könnte jeden Moment zerreißen.
Der Meister probierte nicht einmal, mich zu lesen. Sein Blick war offen, als versuchte er, sympathisch zu sein. Ich bemühte mich ebenfalls um eine freundliche Miene.
»Vielen Dank, dass Sie mich empfangen.«
»Wir haben immer gerne Besuch, nicht wahr, Judith?« Coe lächelte seine Ehefrau an, die schweigend den Platz an seiner Seite eingenommen hatte. Der Meister war nicht viel größer als ich. Sein dunkelblondes Haar hatte er sorgfältig über einige kahle Brandnarben auf seinem Schädel gekämmt. Auf der linken Seite fehlten ihm Braue und Wimpern, aber das rechte Auge saß funkelnd in einem Flecken gesunder Haut.
Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich zum Schutz vor dem Feuer eine Hand vorgehalten hatte. Quer über sein hageres Gesicht zog sich ein Streifen unverbrannter Haut, was dem Vampir ermöglichte, sich einen langen Schnauzer und einen Kinnbart stehen zu lassen.
Trotz des exotischen Bartes wirkte das Gesicht seltsam leer, und seine hellblauen Augen blickten wie aus einer Maske in die Welt.
»Haben Sie genug gesehen?«, fragte er barsch.
»Entschuldigen Sie, Mr Coe.«
»Ich bin es gewohnt, angestarrt zu werden. Möchten Sie mir Ihre Begleiterinnen vorstellen?«
»Natürlich. Amber Connan, meine Dienerin, und Christina Reyes, der Sie ja bereits einmal begegnet sind.«
Amber gab Coe die Hand, doch Christina weigerte sich.
Ich beschloss, die Punkte Small Talk und Austausch von Höflichkeiten zu überspringen.
»Bevor wir unsere Verhandlung beginnen, möchte ich zu Brandon. Ich will wissen, ob er noch das Geld wert ist, das ich biete«, eröffnete ich das Gespräch und versuchte, so geschäftsmäßig wie möglich zu klingen. Mein Gegenüber lächelte.
»Heute ist nur wenig Zeit. Die Sonne geht bald auf. Wir werden morgen verhandeln, warum also den Indianer sofort ansehen?«, fragte er.
»Ich bestehe darauf.«
»Ich habe nicht gesagt, dass ich ihn überhaupt abgeben möchte. Immerhin habe ich seine Gesellschaft lange entbehren müssen.«
Ich antwortete nicht, sondern musterte Coe. Er strich sich über seinen Schnurrbart, drehte nachdenklich ein Ende zusammen und nickte. »Also gut, gehen wir.«
»Was ist mit uns?«, fragte Amber und blickte besorgt zu Christina, die mir offensichtlich folgen wollte.
»Bitte, ich muss zu ihm!«, flehte die Unsterbliche.
»Nein, du bleibst bei Amber, und ihr wartet hier.«
KAPITEL 15
Coe führte mich in den Flur und schloss eine Tür auf, dann nahm er eine Gaslampe von der Wand, in deren Licht wir eine enge Treppe hinabstiegen.
Es roch nach Erde und Blut.
Mein Herz schlug zum Zerreißen. Eine weitere Tür folgte, eine Stahltür, die verriet, dass wir die Schlafkammern erreicht hatten.
Sobald Coe den Schlüssel im Schloss drehte, vernahm ich ein Wimmern. Ohne dass ich ihn sah oder fühlte, wusste ich, es war Brandon.
Coe zog eine Schachtel Streichhölzer aus der Tasche und reichte sie mir, dann schlug er hinter mir die Tür zu. Es war stockfinster.
»Zehn Minuten!«, hörte ich ihn sagen, während er mit schweren Schritten die Treppe hinaufstieg. Wir waren allein. Ich riss ein Streichholz an. Auf einer alten Kommode standen zwei silberne Leuchter. Ich entzündete alle zwölf Kerzen und versuchte dabei, Ruhe und Freundlichkeit auszustrahlen.
Der Raum war nicht allzu groß. Es handelte sich um das Vorzimmer zur eigentlichen Schlafkammer, wie ich im zunehmenden Licht erkannte. Quer über den aufgewühlten Boden verlief eine Kette. Sie verschwand unter einer groben Decke, unter der jemand kauerte. Er wimmerte wie ein verletztes Tier, sobald ich auch nur einen Schritt näher trat.
»Brandon, ich bin es. Hab keine Angst«, sagte ich leise, während ich mich ihm mit einem Leuchter in der Hand näherte. Ich stellte ihn ab und sank in die Knie.
Ich konnte seinen Hunger riechen und sein Blut, doch der Geruch seiner Angst war stärker als alles
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