Jung, blond, tot: Roman
teilnahm, nicht einmal im Gerichtssaal wollte er sie sehen. Zunächst schien es, als interessierte sie ihn nicht mehr, doch einmal bemerkte er wie beiläufig, daß er seiner Frau lediglich noch mehr Leid ersparen wollte. Ihr und den Kindern. Als man ihm mitteilte, daß Susanne Tomlin sich in Frankreich aufhielt, war er sichtlich erleichtert.
Wie das neue Leben von Susanne Tomlin aussehen sollte, wußte sie noch nicht, sie hatte Zeit, sie hatte Geld, keiner drängte sie zu einer Entscheidung.
Mark Daniel Tomlin wurde, wie nicht anders zu erwarten, zu lebenslanger Haft verurteilt, seine Einweisung in eine geschlossene psychiatrische Abteilung angeordnet. Das Gericht entsprach damit dem Antrag der Verteidigung, die auf verminderte Zurechnungsfähigkeit plädierte. In der Öffentlichkeit war, wie nicht anders zu erwarten, eine kurze, aber heftige Debatte über die Wiedereinführung der Todesstrafe entflammt, die jedoch schnell wieder abebbte.
Tomlin wurde in der geschlossenen Abteilung einer psychiatrischen Klinik untergebracht, Einzelzimmer, Radio, Fernsehen, Privilegien, die ihm von höchster Stelle zugebilligt worden waren. Er las viel, er schrieb. Ab und zu hörte man ihn leise beten. Mit der Einweisung in die Klinik war die Fassade, die Mark Daniel Tomlin über so lange Zeit geschützt hatte, vollkommen von ihm abgefallen. Kein Psychologe vermochte herauszufinden, wann Tom lins Persönlichkeit sich gespalten hatte, ab wann er nicht mehr fähig gewesen war, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, und ab wann er nicht mehr imstande war, zu lieben.
Der Mord an Sabine Lindner wurde nicht aufgeklärt. Bis Mitte Dezember, der erste Schnee war gefallen und wieder geschmolzen, sobald er den Boden berührte, als Andreas Menzel, blaß und übernächtigt, ungekämmt und leicht alkoholisiert auf dem Präsidium erschien. Er hätte eine Aussage zu machen, bat gleichzeitig um die Anwesenheit einiger Journalisten. Zunächst waren Durant und Berger über diese Bitte erstaunt, gaben dem trotzigen Drängen des Jungen schließlich nach und bestellten vier Reporter in ihr Büro, unter ihnen Kantzer. In ruhigen, gefaßten Worten schilderte Andreas Menzel den Abend, an dem Sabine Lindner starb. Er holte drei Fotos aus seiner Jacke und legte sie auf den Tisch, alle drei zeigten, wenn auch etwas verschwommen, da sehr ungünstige Lichtverhältnisse herrschten, Alexander Menzel beim Geschlechtsverkehr mit Sabine. Andreas berichtete detailliert, wie er, nachdem sein Vater wieder fortgefahren war, Sabine aufgelauert und sie vergewaltigt hatte. Er hatte versucht, die Vorgehensweise von Tomlin zu kopieren, hatte sich dabei streng an die Presseberichte der vorangegangenen Morde gehalten, doch er hatte selbst gemerkt, daß auch eine Kopie nicht möglich war. Auf die Frage, warum er Sabine getötet habe, antwortete er nur, es aus Rache und aus Liebe getan zu haben. Rache gegenüber seinem Vater für alles, was dieser getan hatte, daß er kleine Mädchen, manchmal aber auch kleine Jungs mißbrauchte und mißbrauchen ließ, vor allem aber dafür, daß er Andreas' Mutter immer wieder gedemütigt und verprügelt und ihr damit die Seele geraubt hatte. Dafür, daß ein Leben seinem Vater nichts bedeutete. Rache gegenüber Sabine, die er so sehr geliebt hatte und die ihn ausgerechnet mit seinem Vater betrogen hatte. Vor allem aber hatte er es aus Liebe zu seiner Mutter getan.
So ruhig er begonnen hatte zu erzählen, so ruhig endete er auch. Andreas Menzel war bereit, alle Konsequenzen für seine Tat auf sich zu nehmen. Aber er wollte seinen Vater niemals mehr wiedersehen. Er sagte, es täte ihm leid um Sabine, er hätte seit jenem Abend keine ruhige Minute mehr gehabt, immer wieder wären die Bilder vor seinem geistigen Auge aufgetaucht. Wenn er die Tat selber als abscheulich und verwerflich bezeichnete, so meinte er doch, daß sie zumindest einen kleinen Wert hatte, nämlich den, weil durch sie sein Vater vernichtet werden konnte. Als die Zeitungen davon berichteten, ein Boulevardblatt druckte sogar eines der Fotos, war die Karriere von Menzel blitzartig beendet. Er verschwand urplötzlich von der Bildfläche, es hieß, er hielte sich in Spanien auf, doch genau wußte das niemand.
Doch zu einem Prozeß gegen Menzel kam es nicht, denn es fand sich keiner, der bereit gewesen wäre, gegen ihn auszusagen oder gar Anklage zu erheben, zu viele vorgeblich ehrenhafte Bürger hätten um ihren Ruf fürchten müssen. Menzel hatte immer noch zu viele sogenannte
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