Jung genug zu sterben
Das weiß jeder hier!«
»Gut, also sind es Folterwerkzeuge. Fallen unter die Genfer Konvention, diese rosa Kettchen. Alles klar.«
»Das ist meiner!«
Oskar Schroeter stand in der Tür des Schneideraums. Die Arme verschränkt vor der Brust. Zwei uniformierte Polizisten in dunkelblauer Jacke begehrten Einlass. Erst klopfend, dann bittend, fordernd, abwartend, wieder bittend, ärgerlich und schließlich entmutigt.
Als Lothar Melchmer um die Ecke bog, liefen sie auf ihn zu.
Wie zwei aufgeregte Kinder, dachte Jenissej.
»Er sagt, der Raum sei sein Bereich.«
»Wir haben ihm den Bescheid schwarz auf weiß vorgelegt und vorgelesen.«
»Er behauptet, der gilt nur für Herrn – also für ihn.« Er zeigte auf Jenissej.
»Wir haben ihm dargelegt, dass der Raum zum Objekt gehört und darum ebenfalls zu durchsuchen ist.«
»Geht ja gar nicht anders. Aber er behauptet, das Schneidegerät und der Computer gehören ihm.«
»Wir haben ihm die Konsequenzen vor Augen geführt, wenn er sich unkooperativ verhält.«
»Behinderung.«
»Straftatbestand.«
»Überzeugungsmäßig haben wir alles versucht.«
»Bleibt eigentlich nur noch unmittelbarer Zwang.«
»Sie können es ja noch mal versuchen, Kommissar!«
»Er ist bockig.«
Lothar Melchmer schaute mit allem Ärger auf Oskar Schroeter.
Melchmer verschränkte die Arme genauso wie Schroeter und stellte sich vor den Cutter. »Das da drin ist Ihr Computer?«
»Ja.«
»Sachen von Jenissej drin?«
»Nein.«
»Der Raum?«
»Habe ich gemietet. Von Jenissej.«
»Aha.« Er drehte sich zu den Uniformierten. »Sehr gut, Kollegen. Ich bräuchte Sie dann jetzt im Fundus. Und wie der Name schon sagt: Versuchen Sie, etwas zu
finden
. Dazu ist der da. Finden Sie Lena. Oder meinetwegen ihre vielbändigen Mordpläne. Alles klar?«
Er ging noch einmal auf Schroeter zu. Stellte sich sehr nah vor ihn. »Und Sie – mag ich nicht.«
Schroeter musste grinsen.
An Jenissej gewandt, sagte der Kommissar: »Sie haben’s gehört. Wir nehmen uns den Fundus vor. Den Computer Ihrer Tochter haben wir. Ich würde gern noch einmal in Lenas Zimmer gehen und dort ein Stündchen zur freien Gestaltung haben. Danach zwitschern wir ab. – Sobald Sie etwas zu Lenas Filmen sagen können … «– er zeigte nacheinander auf Jenissej und Schroeter –, » … rufen Sie mich an. Und zwar
immediately
!«
43
Weiß nicht. Weiß nicht. Weiß nicht.
Weiß alles nicht.
Warum muss immer ich an die Tafel? Er hat gemerkt, dass
ich keine Ahnung habe.
Erst die Tafel wischen. Der Kreidestaub an den Händen –
und plötzlich überall: auf dem Pullover, auf der Hose, im Gesicht
… Alle lachen.
Wieso kannst du kein Molekül zeichnen? Hast keine Ahnung? Oder kannst nicht zeichnen? Mal mal nen Baum!
Alle lachen.
Nein.
Doch! Du wirst doch einen Baum malen können. Los!
Das Gelächter.
Die Tafel fällt mir entgegen, der Kreidestaub. Der Arm
schmerzt. Alle lachen, aber dann beginnen die Wände zu ruckeln, die Fensterscheiben müssen gleich bersten, die Decke
zittert.
Alles wie mit verwackelter Kamera gefilmt.
Die Hose ist eingestaubt. Ich schlucke den weißen Staub,
der Tisch saust an meinem Kopf vorbei. Bei dem Kreidestaub
muss ich mich fast übergeben.
Beherrsch dich, sie lachen immer noch.
Da kann die ganze Welt zusammenbrechen. Sie lachen.
44
»Kriminalpolizei Berlin, Melchmer, guten Tag. Wen möchten Sie anschwärzen?«
Stille in der Leitung.
Zaghaft nur: ein Mann, der niemanden anschwärzen will.
»Hm. Mein Kollege sagte mir beim Durchstellen, Sie hätten sachdienliche Hinweise. Für mich heißt das: Schaumschläger oder Spinner. Meist kommt nichts dabei raus. Zu welcher Kategorie zählen Sie?«
»Äh … Ich wollte einen Hinweis geben. Nein, eine Frage stellen. Der Fall Lena Jenisch.«
»Ah. Und der Name?«
»Lena Jenisch.«
»Ihrer.«
»Meiner. Na ja … Geht es, dass ich meinen Namen lieber nicht nenne?«
»Das geht – und ich mache einen Strich bei der Kategorie
Spinner
. Einverstanden?«
»Hören Sie mal! – Wenn Sie nicht wollen, dass man Ihnen einen Tipp gibt, dann … –«
»Ja? Was dann?«
»Sie glauben mir meinen Namen sowieso nicht: Müller. Ich bin bei einer gemeinnützigen Organisation tätig, die sich PALAU nennt. PALAU steht für … «
»Sagt mir was.«
»Wir hatten vor Kurzem auf einer unserer Reisen einen tödlichen Unfall mit einem Jungen. Jan. Jan Sikorski.«
»Sagt mir auch was.«
»Dann wissen Sie, dass der Junge an Epilepsie
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