Jung genug zu sterben

leidet – litt. Es gibt inzwischen Medikamente, die zuverlässig sind, und Jan war bereits gut eingestellt. Bei meinen   … hausinternen Befragungen habe ich nun den Eindruck gewonnen, dass dem armen Jungen seine Medikamente nicht rechtzeitig gegeben wurden. Verstehen Sie? Hätte er seine Tabletten bekommen, wäre es nicht zum Anfall und zum Unfall gekommen. Er wäre nicht in den Tod gestürzt.«
    »So weit kann ich folgen. Welche Rolle teilen Sie Lena in diesem Drama zu, Müller?«
    »Rolle   …? Also, Lena war bei der Reise dabei. Sie hat die Gruppenleitung unterstützt.«
    »Ja – und?«
    »PALAU hatte den Fehler gemacht, Lenas Teilnahme zunächst zu leugnen. Wir befürchteten Gerichtsverfahren und Ärger in der Presse, wir haben ökonomische Schwierigkeiten derzeit, und deshalb waren wir sensibel. Tatsächlich hat Lena an drei Reisen teilgenommen. Wir meinten, die Zustimmung der Erziehungsberechtigten zu haben, und Lena war eine gute Unterstützung. Beliebt bei den Teilnehmern. Die jugendlichen Helfer betreuen Kleingruppen innerhalb einer Gruppe. Es gibt manchmal Problemchen, mit denen sich die Jungen und Mädchen nicht gleich an die Erwachsenen wenden wollen. Einer der Jungen in Lenas Zuständigkeitsbereich war Jan Sikorski. Nachdem ich gehört hatte, dass sie in der Schweiz in Verbindung gebracht wird mit diesem Arzt – den Namen vergesse ich immer   … «
    »Aha.«
    »Ja, also, da habe ich unsere Jugendlichen noch einmal befragt. Sehr dezent natürlich. Nach und nach waren sie bereit, über Lena zu sprechen. Aber man merkte, dass sie nicht mit der Wahrheit rausrücken wollten.«
    »Und die war?«
    »Lena hat Jan die Medikamente nicht rechtzeitig verabreicht. Also vor der Wanderung. Dafür war sie verantwortlich. Vor Schreck hat sie dann nach den Ereignissen das Weite gesucht. Den Rest kennen Sie besser als ich, Herr Kommissar.«
    »Aber Sie werden es ja nicht einer Vierzehnjährigen überlassen, Medikamente an lebensgefährlich erkrankte Jugendliche zu verteilen. Oder?«
    »Nein, so will ich auch nicht verstanden werden. Die volle Verantwortung liegt bei PALAU. Da redet keiner drum herum. Übrigens lassen wir auch die Gruppenleiterin nicht im Regen stehen. Die ist völlig fertig auf der Bereifung, wie man so sagt. Wir haben sie mit vollen Bezügen beurlaubt. Sie weiß, dass sie auf die Medikamente hätte achten müssen, aber die Verantwortung im Sinne von
Haftung,
die trägt das PALAU. Da stehen wir hinter ihr. Tja   … Und die Frage, die ich mir nun stelle, ist natürlich: Warum fährt Lena zu diesem Dr.   Brogli nach Zürich, der Jan Sikorski nach dem Unfall behandelt hat?«
    »Sie meinen, Lena hat Brogli getötet, weil der wusste, dass sie Jan Sikorski die Medikamente nicht gegeben hat. Weil er ein Mitwisser ist?«
    »Das weiß ich alles nicht. – Aber
wenn
sie wirklich dem Dr.   Brogli etwas angetan hat – das ist meine Sorge   –, muss man sich dann nicht auch um Herrn Professor Lascheter Sorgen machen? Prof.   Lascheter ist der Arzt, bei dem Jan seit Jahren in Behandlung war. Ich kenne den Professor gut, er arbeitet bei uns nebenan, am
Institut Zucker.
Die Kooperation ist exzellent.«
    »Und die Jugendlichen.«
    »Bitte?«
    »Die Jugendlichen. Wenn die auch Mitwisser sind, dann wird Lena nicht nur Lascheter, sondern sie alle köpfen.«
    »Köpfen?«
    »Nicht? – Entschuldigung, meine Umgangssprache. Wie hat Lena denn den Brogli noch mal getötet?«
    »Herr Kommissar   … Ich habe keine Details. Ich bin nur ein besorgter   … Mensch. Ob Sie mir glauben oder nicht. Vielleicht sollten Sie sich nach den Gutachten erkundigen, die Professor Lascheter und Dr.   Brogli zu Jan Sikorski verfasst haben. Man hört, die seien eindeutig: fehlendes Medikament. – Ich will Lena um Gottes willen nicht anschwärzen. Aber wenn dem Professor etwas zustößt, würde ich mir mein Leben lang Vorwürfe machen.«
    »Sie sind gut über Brogli informiert   … «
    Der Mann lachte geschmeichelt. »Internet. Wie alles heute.«
    »Lena ist nur in der Schweiz zur Fahndung ausgeschrieben. Hier bei uns haben wir die Öffentlichkeit noch nicht informiert.«
    »Ach ja, ehe ich es vergesse, es gibt noch einen Punkt, der Sie interessieren könnte: Vielleicht haben Sie die Aussage gehört, Jan Sikorski sei allergisch gegen Anti-Epilepsie-Medikamente?«
    »Ich höre.«
    »Es soll sogar einen Ausweis geben, in dem die Allergie genannt wird. Das haben mir die Jugendlichen anfangs erzählt. Eine durchsichtige