Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
und somit biologisch älter als der Mensch selbst.
»Das Alter zieht
noch mehr Runzeln in
unseren Verstand
als in unser Antlitz.«
Michel de Montaigne
Die Unterschiede zwischen biographischem und biologischem Alter können zum Teil auf eine angeborene »Veranlagung« zurückgeführt werden. Aber sie unterliegen auch in hohem Maße äußeren Einflüssen. Ein Beispiel für einen angeborenen Einfluss auf das Altern ist ein Mensch mit einer angeborenen, in der Familie gehäuft auftretenden Fettstoffwechselstörung. Er hat ein hohes Risiko, eine Arteriosklerose zu entwickeln. Dies führt zu einer krankhaften Veränderung und auch zu einer verfrühten Alterung der Arterien. Daneben ist ein Teil der Organe (insbesondere Herz und Gehirn) in Mitleidenschaft gezogen; sie sind in erhöhtem Ausmaß verfrühten Alterungsprozessen ausgesetzt und eher von Herzinfarkt und Schlaganfall bedroht. Letztendlich ist es immer eine Kombination aus angeborenen Voraussetzungen und äußeren Faktoren, die das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Alterns bestimmen.
Auch wenn sich also nicht so genau sagen lässt, ab wann wir alt sind – entscheidend ist, dass neben unseren Genen und Umweltfaktoren, die wir weniger beeinflussen können, unser Lebensstil einen erheblichen Einfluss darauf haben kann, wie wir altern, welche Fähigkeiten wir im Alter einbüßen, welche wir erhalten und welche wir sogar noch ausbauen können.
Auf der Grundlage von vielen Tausend Gesprächen, die er als Leiter einer großen Abteilung an der amerikanischen George-Washington-Universität über die Erforschung des Alters geführt hat, gibt der Altersforscher und Neurologe Gene D. Cohen folgende Grundkonstanten der Entwicklung von älteren Menschen an, die vielleicht für den ein oder anderen eine Bestätigung oder auch eine Anregung darstellen können:
■sich selbst endlich richtig kennen und verstehen lernen und mit sich selbst zufrieden sein
■lernen, gut und richtig zu leben
■sein Urteilsvermögen schärfen
■anderen Menschen, der Familie und der Allgemeinheit etwas von sich geben
■die eigene Lebensgeschichte erzählen
■nicht aufhören, Entdeckungen zu machen und sich auf Neues einzulassen.
Das Vier-Phasen-Modell menschlichen Alterns
Auch wenn es schwierig ist festzulegen, ab wann wir altern (bereits nach der Geburt, nach dem 18. oder 25. oder 65. Lebensjahr), sei hier ein, wie ich meine, sinnvolles Modell der menschlichen Entwicklungsstufen vorgestellt. Ähnlich wie es der Psychologe Jean Piaget für die Kindesentwicklung vorgenommen hat, unterteilt der eben erwähnte Gene Cohen die Entwicklung des alternden Menschen in vier Phasen.
In Phase I (50. bis 55. Lebensjahr) tritt der Mensch in einen Lebensabschnitt ein, in dem es um eine Neuausrichtung, um das Ausloten und den Umbruch geht. Es werden Fragen gestellt wie: Wer bin ich? Wo bin ich gewesen? Wohin gehe ich? Diese Phase geht einher mit einer besseren Kontrolle impulsiver Regungen auf Alltagssituationen und auf andere Menschen. Menschen in diesem Alter reflektieren vermehrt ihre Einstellung gegenüber der eigenen Arbeit, sind offener für neue Ideen und haben mehr Achtung vor Gefühlen und Intuitionen. Die II . Phase, die Cohen zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr ansiedelt, ist eher eine Zeit der Befreiung, des Experimentierens mit neuen Rollen. Cohen vergleicht diese Phase mit der Pubertät: Ähnlich wie in der Jugend sei dies eine Phase des Experimentierens mit Rollen, einem neuen Gefühl der Autonomie, bedeutsamen Verschiebungen des Identitätserlebens etc. Zwischen dem 65. und dem 75. Lebensjahr erfolgt eine Phase III des prüfenden Rückblicks, in der häufig ein Lebensresümee gezogen wird. Menschen in diesem Alter versuchen, ihren Lebensweg nachzuzeichnen und ihm Bedeutung zu geben, sie verspüren den Drang, Rückschau zu halten und anderen etwas von ihren Lebenserfahrungen mitzugeben. Das, was man selbst erlebt hat, soll auch anderen zugute kommen.
In der IV . Phase (meist wenn man auf die 80 zugeht) wird häufig das Erreichte gefeiert, es wird reflektiert, und häufig ist es auch die Phase, in der Erlebtes in ein neues Licht getaucht wird. Sowohl für die Phase III als auch IV gilt laut Cohen: »Auch wenn wir uns mit Krankheit oder körperlichen Einschränkungen abfinden müssen, sind nach wie vor machtvolle Antriebskräfte in uns wirksam wie etwa Bedürfnisse nach Liebe, Miteinander und Selbstbestimmtheit und der Wunsch, der Welt etwas zurückzugeben.«
Cohen zeigt an diesem
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