Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
kontinuierlich nach.
Warum das Gehirn nie ganz erwachsen ist – aber auch nicht jugendlich bleibt
Dass sich unser Gehirn unablässig, ein Leben lang entwickelt, hängt vor allem mit Veränderungen an den Kontaktstellen zwischen den Nervenzellen zusammen, den Synapsen. Sie verändern sich aufgrund von Lernvorgängen, also wenn wir Informationen abspeichern, in ihren funktionellen Eigenschaften, d. h. sie werden stärker oder schwächer, was sich auf die Verschaltungseigenschaften ganzer Netzwerke von Nervenzellen auswirkt.
Wie das Abspeichern von Informationen an einer Synapse funktioniert, lässt sich an einem Beispiel illustrieren: Eine Rose duftet üblicherweise nur da, wo man sie auch sehen kann. Und man kann sie nur da sehen, wo sie auch gut riecht. Der Anblick der Rosen und ihr Geruch kommen gemeinsam vor. Die neuronalen Verbindungen vom Auge führen zu einer Synapse, und zu ebendieser Kontaktstelle führen auch die Verbindungen von der Nase. Beide sind sowohl mit dem Duft als auch dem Aussehen der Rose verbunden. Dadurch hat sich die Art der Übertragung zwischen den Nervenzellen verändert. Sie ist stärker geworden. Es gibt mehr Informationen, die auf die Rose hinweisen. Duft und Aussehen dieser Pflanze sind miteinander verknüpft. Die Kontaktstelle ist stärker geworden und hat damit ihre Übertragungseigenschaften verändert und die Information gespeichert. Treten Ereignisse oft gleichzeitig ein, sehen und riechen wir die Rose zugleich, dann wird der Informationsfluss zwischen den Synapsen stärker.
Aber das Gehirn verändert sich nicht nur funktionell an den Synapsen, die beim Lernen stärker oder schwächer werden, sondern es unterliegt auch strukturellen Veränderungen – von der Geburt bis zum Tod. Lange Zeit galt das Gehirn eines erwachsenen Menschen als fest verdrahtet, und es wurde angenommen, dass keine neuen Nervenzellen gebildet werden können. Davon ausgehend, dass jede verlorene Nervenzelle und jede verlorene Synapse irreversibel verschwinden, kann das Altern nur mit Verlusten einhergehen. Dass dies auf der strukturellen Ebene nicht stimmt, konnte 1997 erstmals an Taxifahrern gezeigt werden. Wie Neurologen vom University College London bewiesen, ist die Größe des Hippocampus eine Frage des Trainings. In der rechten Hälfte des Hippocampus, der im vorderen Bereich des Gehirns sitzt, werden räumliche Erinnerungen gebildet; er wächst und schrumpft je nach Anforderungen. Die Forscher verglichen Londoner Taxifahrer, die wie im Schlaf ihren Weg durch das Straßengewirr finden und neben 300 Standardstrecken in der Stadt 25.000 Straßen in einem Neun-Kilometer-Radius um das Zentrum kennen, mit nicht taxifahrenden Personen und stellten fest, dass Erstere einen deutlich größeren Hippocampus besitzen. Darüber hinaus fanden sie heraus, dass bei Taxifahrern im Ruhestand der Hippocampus wieder schrumpft.
Studien mit Vögeln scheinen diese Beobachtung zu bestätigen. Wissenschaftler sind sich einig, dass bei den Arten, die Futter für die Wintermonate verstecken, wie z. B. bei Meisen, die Überlebenschancen größer sind, wenn sie ihren Vorrat über ein größeres Gebiet verteilt bereithalten. Je anspruchsvoller das Territorium der Meisen ist, desto größer wird bei ihnen der Hippocampus, schreibt Nicky Clayton von der Oxford University, die Sumpfmeisen mit in Gefangenschaft aufgewachsenen Blaumeisen verglich und zu dem Ergebnis kam, dass bei Sumpfmeisen die Gesamtzahl von Nervenzellen ebenso wuchs.
Entscheidend ist hier vor allem, dass sich einzelne Gehirnareale je nach Nutzung strukturell verändern. Dabei ist eine hohe Beanspruchung für das Gehirn besser als eine Denk-Schonhaltung, wie auch die folgenden Experimente beweisen: So konnte bei Medizinstudenten nachgewiesen werden, dass z. B. während des Lernens für das Zwischenexamen, das Physikum, der Hippocampus wächst. Wer intensiv Jonglieren übt, bei dem reagieren Gehirnareale, die beim Jonglieren mit Bällen besonders beansprucht werden! Wahrscheinlich bilden die Nervenzellen auch hier neue Synapsen aus oder gar ganze Dendritenäste von Neuronen. Dies könnte dazu führen, dass die neuronalen Netze, die mit bestimmten Prozessen häufig beschäftigt sind, ausgebaut werden. Aber nicht nur die grauen Zellen, die Neuronen, verändern sich über Jahre hinweg in unserem Kopf, auch die weiße Substanz wächst noch bis in das 50. Lebensjahr hinein.
Nach all diesen Erkenntnissen fragt man sich, warum bei einem Gesundheitscheck nicht auch eine
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