Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
Atmungskette in den Mitochondrien nicht nur weniger Energie produziert wird, sondern kontinuierlich und unaufhaltsam immer mehr Zellstrukturen beschädigt werden – ein Teufelskreis, der irgendwann nicht mehr zu stoppen ist. Die Folge ist, dass einzelne Zell- und Gewebebestandteile im Laufe der Zeit ihre Funktionsfähigkeit einbüßen, weshalb Zellfunktionen beeinträchtigt und einzelne Gewebe weniger belastbar sind.
Abbildung 4: Mechanismen der Zellalterung
Wenn es zu einem Funktionsverlust in den Mitochondrien der Zellen kommt, kann weniger energiereiches ATP hergestellt werden; es werden vermehrt Sauerstoffradikale produziert, die die umliegenden Zellen schädigen können.
Interessanterweise konnte gezeigt werden, dass bei verringertem Kalorienangebot eine unsaubere Zellatmung und der Angriff auf elementare Strukturen von Zellen minimiert wird – Alterungsprozesse laufen dann verlangsamt ab. Experimente belegten, dass extrem schlanke Tiere länger als normalgewichtige leben, und erste Studien beim Menschen deuten ebenfalls auf die Richtigkeit dieser These hin.
Noch offen ist, ob die beobachteten Veränderungen der DNA , welche die gesamte Erbinformation eines Menschen enthält, Ursache oder Folge des Alterns sind. Einige Annahmen gehen davon aus, dass Altern und letztendlich der Tod im »genetischen Programm« jeder Zelle bereits verankert sind und daher in festgelegter Weise ablaufen. Aufgrund dieser Prozesse, die in jeder einzelnen Zelle des Körpers in mehr oder minder starker Ausprägung vonstattengehen, verändern sich nach und nach die Eigenschaften, Funktionen und die Funktionsfähigkeiten einzelner Gewebe, Organe und Organsysteme. Das hat Auswirkungen auf den gesamten Menschen.
Unabhängig von diesen vielfältigen Veränderungen im Körper des Menschen kommt es schließlich zu einer verringerten Anpassungsfähigkeit an äußere Einflüsse, wie veränderte Lebens- oder Klimabedingungen, die sowohl auf den Körper als auch auf unsere kognitiven Fähigkeiten einwirken. Sie erhöht z. B. die Infektionsanfälligkeit und das Risiko, an Krebs zu erkranken, da das Immunsystem älterer Menschen nicht mehr so effektiv Keime und entartete Zellen vernichtet.
Wann ist man alt?
Im Verlaufe dieses Buches war schon oft von alt versus jung die Rede. Aber ab wann ist man neurobiologisch alt? Die Weltgesundheitsorganisation ( WHO ) macht es sich hier einfach: Als alt gilt, wer das 65. Lebensjahr vollendet hat. In Deutschland und auch in den USA wird gar ab dem 70. Lebensjahr von einem »geriatrischen Patienten« gesprochen.
Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Das Lebensalter ist das eine; der sehr viel aussagekräftigere Gradmesser für den individuellen körperlichen Zustand und die Gesundheit eines Menschen ist sein biologisches Alter. Damit ist allerdings noch nicht beantwortet, wie alt man kognitiv ist, wenn man ein bestimmtes biologisches Alter erreicht hat. Nimmt man das Arbeitsgedächtnis als Kriterium, so beginnt das Alter schon ab dem 25. Lebensjahr.
Bisher gibt es keine eindeutige quantifizierbare Festlegung biologischer Alterungsprozesse des Menschen im fortgeschrittenen Leben. Vielmehr findet man eher qualitative Begriffe wie »deutlich gealtert«, »jung geblieben«, »gut gehalten« oder »jünger wirkend«. Dazu kommt, dass Altern ein sehr individueller Vorgang ist. Selbst innerhalb einer Familie, in der alle genetisch eng miteinander verwandt sind, können Alterungsprozesse unterschiedlich ablaufen. So können z. B. Geschwister, die kurz hintereinander geboren wurden, deutlich unterschiedlich altern. Auch außerhalb der Familie kann das biologische Alter bei ähnlich alten Menschen sehr unterschiedlich ausfallen. Jeder kennt das: Menschen, die im selben Jahr geboren sind, etwa die Klassenkameraden aus der Grundschule, haben sich im Laufe der Zeit unterschiedlich entwickelt und wirken entsprechend unterschiedlich alt. Je nach Beanspruchung kann das biologische Alter verschiedener Organsysteme eines Menschen unterschiedlich ausfallen. So ist es beispielsweise möglich, dass bei einem durchtrainierten Leistungssportler das Herz in einer ausgezeichneten Verfassung ist. Es ist biologisch jünger, als es dem biographischen (zeitlichen) Alter dieses Menschen entspricht. Dagegen können die Gelenke desselben Sportlers durch die starke Belastung deutlich stärkere Verschleißerscheinungen aufweisen, als es für das biographische Alter typisch wäre. Die Gelenke sind also gewissermaßen vorgealtert
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