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Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)

Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)

Titel: Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Korte
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Spiegelneuronen, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, verkümmert. Das macht es älteren Menschen schwerer, in sozialen Kontexten zu operieren und sich wohlzufühlen. Die Spirale der sozialen Vereinsamung nimmt ihren Lauf, wenn die Spiegelneuronen nicht »in Übung« bleiben.
    Das Priming hängt vor allem von den Funktionen der Großhirnrinde ab und zeigt kaum Alterungserscheinungen. Nicht funktionierendes Priming ist aber eines der Diagnosekriterien bei Alzheimer-Patienten. Im Unterschied dazu ist der Hippocampus als entscheidende Struktur des expliziten Gedächtnisses stärker von Alterungsprozessen betroffen (Abb. 16).

    Abbildung 16: Hippocampus
    Der Hippocampus liegt eingerollt im Schläfenlappen und gehört zu einem Netzwerk an Gehirnarealen, die entscheidend beim Abspeichern von autobiographischen Erinnerungen und dem Faktengedächtnis sind.
    Zusammen mit Teilen des Stirnlappens ist der Hippocampus verantwortlich für das Quellengedächtnis, welches sich als letzte Fähigkeit unserer vielfältigen Gedächtnisleistungen entwickelt. Der Hippocampus ist eine der wenigen Gehirnregionen, in denen nach der Geburt noch maßgeblich Nervenzellen gebildet werden (adulte Neurogenese). Um den Hippocampus in die Schaltkreise des Gehirns einzubinden, ist eine ganze Datenautobahn vonnöten: Ein dicker Faserstrang namens Fornix leitet Informationen vom Hippocampus zum basalen Vorderhirn und zu Teilen des Hypothalamus (den Mamillarkörpern) weiter. Diese aus Nervenfasern bestehende Datenautobahn beginnt erst im dritten Lebensjahr seine normale Arbeitsgeschwindigkeit aufzunehmen. Dies erklärt möglicherweise, warum wir vor dem dritten Lebensjahr keine Erinnerungen haben. Es ist also mitnichten eine Alterserscheinung, sondern liegt in der Entwicklung des Gehirns begründet. Voll funktionstüchtig ist die Fornixbahn übrigens erst mit Beginn der Schulzeit, also im Alter von sechs Jahren.

    Abbildung 17: Wie erinnert das Gehirn?
    Wird eine autobiographische Erinnerung im Langzeitgedächtnis bewahrt, werden ihre unterschiedlichen Aspekte in spezifischen Gehirnarealen gespeichert, die Engramme (Gedächtnisspuren) sind untereinander durch ein Neuronennetz verbunden, das im Moment der Erinnerung reaktiviert wird. Für diese Reaktivierung ist der Stirnlappen als Organisator entscheidend.
    »Erinnerungen sind
widerborstig; hört man
auf, ihnen nachzujagen,
und kehrt ihnen den
Rücken zu, kommen sie
oft von allein wieder
zurück.«
    Stephen King
    Es wäre falsch, aufgrund des oben Beschriebenen zu glauben, dass die einzelnen Gedächtnissysteme isoliert nebeneinander arbeiten. Im Gegenteil: Unser Leben reiht konstant Lernsituationen aneinander, wo alle Gedächtnissysteme ineinandergreifen (Abb. 17). Ein Musterbeispiel für das komplexe Zusammenspiel der Gedächtnissysteme ist die Sprache: Die Bewegungskoordination der Stimm-, Gesichts- und Atemmuskulatur erfolgt dabei durch das motorische Gedächtnis. Das Faktengedächtnis wird gebraucht, um den Wörtern eine Bedeutung zu geben. Und dem autobiographischen Gedächtnis entstammen alle Details, wenn wir über eine vergangene Lebensepisode sprechen.
    Das Gedächtnis lässt sich aber nicht nur nach seinen Inhalten einteilen, sondern auch nach zeitlichen Gesichtspunkten: Man unterscheidet Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis. Ein bestimmter Teil des Kurzzeitgedächtnisses wird heute funktionell als Arbeitsgedächtnis bezeichnet und wurde bereits in Kapitel 1 ausführlich beschrieben, da seine Leistungsfähigkeit im Alter eingeschränkt ist. Wir benutzen es etwa, um bei komplizierten Rechnungen Zwischensummen abzuspeichern oder um am Ende eines Satzes noch zu wissen, wie er anfing (Abb. 18). Dieser Speicher kann nicht mehr als sechs bis acht Elemente gleichzeitig aufnehmen und befindet sich im Wesentlichen im Stirnlappen. Er fungiert in vielerlei Hinsicht als entscheidendes Nadelöhr unserer Gedächtnisleistungen, bestimmt das Arbeitsgedächtnis doch, wie lange wir uns auf eine Aufgabe konzentrieren, wie viele Gedankenschritte wir im Voraus planen und wie lange wir konzentriert ein Ziel verfolgen können. Seine Leistungsfähigkeit wirkt sich auf alle Gedächtnisleistungen aus, denn: Je besser man sich konzentrieren kann, je mehr Fakten man im Kopf hin und her jonglieren kann, umso besser ist die Erinnerungsfähigkeit. Ein wunderbares Training des Arbeitsgedächtnisses ist übrigens Lesen, da man sich mit vergleichsweise großer Anstrengung etwa drei Minuten lang auf eine Seite konzentrieren

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