Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
erkennen kann oder nicht. Diese Theorie, die in letzter Konsequenz bedeuten würde, dass einzelne, oder in jedem Fall sehr wenige, Neuronen existieren, die das Gesicht eines nahen Familienangehörigen, wie z. B. der Großmutter, speichern, während sie sich für andere Reize nicht interessieren, wird gerne als Großmutterzellen-Konzept bezeichnet und entsprechend dahingehend kritisiert, dass eine solche 1:1-Abbildung viel zu viel Platz im Gehirn beanspruchen würde. Schließlich ändert sich das Gesicht der Großmutter im Laufe der Jahre. Unklar bleibt bei dieser Theorie auch, wie verschiedene Abbildungen auf der Netzhaut im Auge vom Gehirn als zu einem Objekt gehörend interpretiert werden können. Untersuchungen am Menschen, die diese Theorie belegen könnten, sind bisher aber rar.
Eine neue Studie an Menschen, die in der Vorbereitung zu einer Epilepsieoperation untersucht wurden, ergab, dass möglicherweise wenige Nervenzellen ausreichen, um Gesichter und Objekte zu kodieren. Mit ihrer Hilfe wurde die Aktivität der Neuronen aufgezeichnet, in erster Linie um den Fokus einer nicht medikamentös behandelbaren Epilepsie ausfindig zu machen, aber eben auch zu wissenschaftlichen Zwecken. Dazu schauten die Probanden Bilder auf einem Computer an, während gleichzeitig die neuronale Aktivität von bis zu 40 Neuronen im mittleren Schläfenlappen (medialer Temporallappen) gemessen wurde. Der mediale Temporallappen ist ein Gebiet der Großhirnrinde, der beim Wiedererkennen komplexer Objekte, wie z. B. bekannter Gesichter, beteiligt ist. Zu ihm gehören Strukturen wie die Amygdala, der Hippocampus, der entorhinale Cortex und der parahippocampale Gyrus – alles Strukturen, die an der Schnittstelle von komplexer Sehverarbeitung und der Verarbeitung von Gedächtnisprozessen im Gehirn beteiligt sind – also dabei helfen herauszufinden, welche Person wir gerade sehen und was wir mit ihr verbinden. Zur Überraschung der Fachwelt wurde in dieser Studie nun gezeigt, dass es einzelne Neuronen gibt, die auf die prominenten Gesichter von Jennifer Aniston, Halle Berry, Bill Clinton, die Beatles oder die Simpsons reagierten, nicht aber auf die Gesichter ihnen ähnlich sehender Personen, und zwar unabhängig vom Betrachtungswinkel und den Lichtverhältnissen. In der Tat scheint es wenige hoch spezialisierte Neuronen in unseren Gehirnen zu geben, die auf die Identität ganz bestimmter Personen oder bekannter Objekte justiert sind. Sie kennen sicher die Suchspiele in Zeitschriften und im Fernsehen: Man zeigt einen kleinen Teil einer Nase und die Zuschauer sollen erraten, ob es die Nase von Bill Clinton oder Roger Moore ist. In den meisten Fällen weiß das Gehirn sofort, zu wem die Nase / das Auge / das Kinn gehört. Die Studie zeigt, auf frühen Verarbeitungsstufen des Gehirns sind durchaus noch viele Neuronengruppen an der Reizverarbeitung beteiligt, auf höheren Verarbeitungsstufen in der Großhirnrinde werden es aber zunehmend weniger Neuronen.
Gedächtnisinhalte dürften auf zellulärer Ebene als abstrakte Konzepte abgelegt sein. Für diese Interpretation spricht, dass einige Neuronen nicht nur auf das Gesicht von berühmten Menschen – nehmen wir an: Penélope Cruz – reagierten, sondern auch auf den geschriebenen Namen der berühmten spanischen Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin. Diese Vielfalt an Reizen (die aber alle etwas mit einer Person zu tun haben) spricht nicht dafür, dass die Neuronen visuelle Aspekte per se kodieren, sondern für gelernte Assoziationen. Diese Art der abstrakten, sehr sparsamen Repräsentationen ( sparse coding) ist ebenso überraschend wie provozierend. Stellen Sie sich vor, speziell diese Neuronen werden bei einem Unfall geschädigt oder sterben durch Alterungsprozesse ab. Es könnte uns dann schwerfallen, die richtigen Namen zu bekannten Personen zu finden, obwohl wir sie sehr schnell wiedererkennen.
Es liegt mir auf der Zunge
Ältere Menschen haben häufiger als jüngere das Gefühl, die Antwort »läge ihnen auf der Zunge« (feeling of knowing), ja man merkt älteren Menschen an, dass sie dieses Phänomen geradezu um den Verstand, mindestens aber um viel Nachdenkzeit bringt (»Wie hieß die noch, die damals in der Nachbarschaft den Dings geheiratet hat …«). Eine Ursache für diese Art der Gedächtnisirritation liegt darin begründet, dass das Namensgedächtnis mit zunehmendem Alter schlechter wird. Dabei ist es immer schwer, sich Namen zu merken, da die Namen selbst willkürlich sind und
Weitere Kostenlose Bücher