Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
Tiere sich in dem entsprechenden Zeitraum viel bewegten und/oder etwas lernten. Am besten war es, wenn beides zusammenkam. Es konnte auch gezeigt werden, dass diese Neuronen im Vogelgehirn funktionell in komplexe Schaltkreise integriert sind, und Ähnliches vermutet man bei Säugetieren, zu denen nun mal auch der Mensch gehört.
Überraschend war der Befund, dass diese neuen Neuronen im Säugetiergehirn aus radialen Gliazellen entstehen, dabei handelt sich um einen Spezialtypus von Stützzellen im Gehirn, die während der Entwicklung des Gehirns Strukturen bilden, an denen Nervenzellen wie an Speichen entlangwandern können. Offen ist die Frage nach der Funktion dieser neuen Neuronen im menschlichen Gehirn: Sollen sie zukünftig mehr freien Speicher schaffen, um neue Informationen verarbeiten und abspeichern zu können? Oder werden sie sogar in die Schaltkreise eingebaut, die beim Lernvorgang selbst involviert waren, die also zu ihrer Entstehung geführt bzw. ihr Überleben gesichert haben?
Die Neubildung von Nervenzellen im Erwachsenenalter könnte mit dafür verantwortlich sein, dass Menschen, die ihr Leben lang geistig aktiv sind und waren, auch im Alter noch eine bessere Gedächtnisfunktionalität aufweisen. Sie bleiben kognitiv leistungsfähiger und erkranken sogar später an Alzheimer.
Die neu gebildeten Neuronen können eine kognitive Reserve darstellen, die den natürlichen Verlust von Nervenzellen im Alter kompensieren. Wie Freiburger Forscher herausfanden, sind die neu gebildeten Neuronen im Vergleich zu anderen noch »jugendlich plastisch« und können sich in ihren Verschaltungseigenschaften leichter auf neu eingehende Informationen einstellen. Neue Informationen abzuspeichern ist eines der Hauptprobleme im Alter, genau dies wird mit diesen vergleichsweise jungen Neuronen gemildert. Lernen bedeutet also auch eine Frischzellenkur für den Hippocampus und damit für unser explizites Gedächtnis. Diese wissenschaftliche Erkenntnis zeigt, dass wir durch einen entsprechenden Lebensstil auf die Neurogenese Einfluss nehmen können – indem wir möglichst häufig Neues lernen, uns regelmäßig bewegen (beides steigert die Neurogenese) sowie Dauerstress meiden (Stress mindert die Neurogenese).
Gedächtnisstufen im Lebensverlauf: Wann lernen wir was am besten?
Wann lernen wir optimal? Wie Studien belegen, ist die optimale Zeit fürs Lernen bis zum 30. Lebensjahr, danach wird es schwieriger und zeitintensiver, Neues aufzunehmen: Mit 15 Jahren kann man ein Gedicht durch dreimaliges Lesen auswendig lernen, jenseits des 65. Lebensjahres muss man es dreimal lesen, dreimal aufschreiben und zehnmal wiederholen. Man ist also noch imstande zu lernen, aber es dauert wesentlich länger, bis das Gelernte sicher sitzt (Abb. 20), und der präzise Abruf von Fakten fällt schwerer.
Abbildung 20: Jung gegen Alt im Gedächtnistest
Das Wissensniveau steigt mit der Anzahl der Lernsitzungen, aber das Niveau der Jüngeren erreichen die Älteren nicht mehr, auch wenn sie noch so viel üben.
Die gute Nachricht ist: Bestimmte Aspekte des Gedächtnisses bleiben im Alter unbeeinträchtigt oder können sogar besser sein als in jungen Jahren, z. B. wenn es darum geht, bestehendes Wissen zu reaktivieren oder zu ergänzen oder eine Erzählung in ihren wesentlichen Elementen zusammenzufassen. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass ältere Menschen im Vergleich zu jüngeren über ein besseres Sprachverständnis und über einen viel größeren Bestand an Erinnerungen und Erfahrungen verfügen. Nehmen wir das Beispiel eines Journalisten: Ein junger Journalist kann sehr schnell mehr Details zu einem Ereignis zusammentragen als der ältere Chefredakteur; der allerdings hat aufgrund seiner jahrelangen Erfahrung eine lange Liste von älteren Artikeln zu ähnlichen Themen parat, was es ihm erleichtert, den entsprechenden Artikel kompetent und schnell zu verfassen.
Generell kann man sagen, dass Kindheit und Jugend die Phase des Aufnehmens sind. Das Gehirn gleicht einem Schwamm, der jegliche Informationen wie Wasser aufsaugt: Es lernt die Muttersprache quasi automatisch, etabliert Lebensgewohnheiten, verinnerlicht soziale Regeln, weiß, wie gängige Geräte zu bedienen sind – das sind nur einige Beispiele. Im weiteren Lebensverlauf muss das Wissen im Gehirn geordnet werden. Jugendliche und junge Erwachsene trainieren, mit diesem Wissen umzugehen, indem sie es abspeichern und problemlos wieder abrufen – es ist die Phase, in der
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