Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
Beobachtungen an gesunden Probanden mit Hilfe von bildgebenden Verfahren sprechen dafür, dass die beiden Hemisphären beim Erleben und Ausdrücken von Gefühlen eine unterschiedliche, ja zum Teil sogar entgegengesetzte Rolle spielen. Dies sollte uns aber nicht dazu verführen, die Hemisphären-Asymmetrien zu stark zu polarisieren, so als wären die beiden Großhirnhälften ein Yin und Yang der emotionalen Bewertung: links = positiv, rechts = negativ. Diese Annahme greift schon deshalb nicht, weil die rechte Hemisphäre generell für unsere Fähigkeit verantwortlich ist, Gefühle bei anderen Menschen zu erkennen – und zwar sowohl positive als auch negative – und diese differenziert unterscheiden zu können. Gefühle bei anderen zu erkennen scheint eine Art der Informationsverarbeitung zu sein, die nicht gut zu einer linkshemisphärischen Mustererkennung passt – zu variabel sind hier soziale Interaktionen. Aber es gilt: Bei der Verarbeitung eigener Emotionen, und vor allem bei ihrer Bewertung, unterscheiden sich die Hemisphären voneinander; und im Zuge des Alterungsprozesses des Gehirns gibt es eine kleine, aber bedeutsame Verschiebung in Richtung der linken Hemisphäre. Diese schreibt Lebensgeschichten zwar nicht um, noch macht sie aus trübsinnigen Menschen Clowns, aber sie führt bei älteren Menschen zu positiven Verschiebungen in ihrer Erinnerung, in ihrer Wahrnehmung und in ihrem Selbstwertgefühl.
»Nie wieder wird das, was außerordentlich und dramatisch
erscheint, und das, was nur normal und lächerlich ist,
noch einmal so sehr dasselbe sein wie in der Jugend. Zu keiner
anderen Zeit liegt alles Existenzielle so dicht an der Oberfläche,
schlägt die emotionale Richterskala so munter aus – auch
ohne ernsthafte Erschütterungen im Herzen der Erde.«
Merten Worthmann, Journalist
Auch unterhalb der Großhirnrinde zeigt sich eine vergleichbare Asymmetrie: Bei gesunden Probanden reagiert die linke Amygdala stärker auf positive als auf negative Stimuli. Beobachtungen an sehr ängstlichen Menschen unterstützen dies, denn sie weisen eine Überaktivierung der rechten Amygdala auf. Ebenfalls stimmig ist die Beobachtung, dass sich bei depressiven Menschen eine reduzierte Aktivität der linken Amygdala findet. Genau genommen haben wir es mit zwei Schaltkreisen von Stirnlappen und Amygdala zu tun: einem links- und einem rechtshemisphärischen. Emotionales Erleben und emotionaler Ausdruck werden also in zwei teilweise getrennten Systemen (links wie rechts im Gehirn) vermittelt: Positive Emotionen werden in der linken Hemisphäre verarbeitet, negative in der rechten. Es sei aber auch erwähnt, dass diese Systeme nicht unabhängig voneinander operieren. In den meisten Lebenssituationen arbeiten die beiden emotionalen Bewertungssysteme zusammen, schließlich ist das Gros der Lebenserfahrungen gemischter Natur – also bittersüß.
Mittlerweile ist man den Asymmetrien in den Großhirnhälften bis in die Biochemie des Gehirns hinein auf die Spur gekommen: So weiß man, dass der Botenstoff Noradrenalin, verbunden mit Wachheit und Stressreaktion des Körpers, eher in der rechten Hälfte ausgeschüttet wird, während Dopamin in der linken Hemisphäre wirksamer ist. Auch dies hat bedeutsame Konsequenzen für die Alterungsprozesse. Ist die linke Hemisphäre in der Gewichtung zwischen den Hemisphären gestärkt, so werden dopaminbedingte schematische Verhaltensweisen häufiger. Aus Tierexperimenten ist bekannt, dass ein erhöhter Dopaminspiegel verstärkt stereotype Reaktionen hervorruft. Dies erklärt sich folgendermaßen: Dopamin steht mit dem Belohnungszentren des Gehirns in enger Verbindung, und dieses verstärkt erfolgreiches Verhalten, es vermittelt positive Emotionen und kognitive Routinen (es wird eben vor allem linkshemisphärisch ausgeschüttet!). Diese Interpretation ist konsistent mit dem Umstand, dass kognitive Routinen auf Erfahrungen basieren, die in der Vergangenheit erfolgreich waren. Das erklärt, warum viele ältere Menschen auf ihren routinemäßigen Abläufen bestehen und grundsätzlich eher zu konservativen Lösungsansätzen neigen. Dopamin in der rechten Hemisphäre weckt dagegen das Neugierverhalten, aber genau dies wird im Alter durch Zell- und Synapsenverlust vermindert. Weiterhin weiß man aus Tierexperimenten, dass ein Anstieg von Noradrenalin, einem anderen, weit verzeigten Neurotransmitter im Gehirn, ruheloses Erkundungsverhalten und eine unablässige Suche nach Neuem auslöst. Nach neuen
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