Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
er lässt sich auch ein Leben lang trainieren. So lernen wir mit Hilfe dieser Kontrollinstanz im Stirnlappen, unser genetisch bedingtes Temperament zu beherrschen.
Zusammen mit dem Hippocampus gilt die Amygdala auch als eine wichtige Flaschenhalsstruktur für Lern- und Gedächtnisvorgänge (siehe Kapitel 4). Schließlich spielen Gefühle nicht zuletzt beim Lernen eine entscheidende Rolle. Was emotional aufwühlt, wird leichter im Gedächtnis abgespeichert als neutrale Sachverhalte. Eine negative gefühlsmäßige Einstellung gegenüber dem Lernstoff dagegen behindert die Abspeicherung, etwa wenn ältere Menschen »neumodischen Kram« ablehnen und nichts mehr dazulernen wollen.
Zusammenfassend kann man festhalten: Im Zuge der Alterung des Gehirns stehen die Großhirnrinde und das limbische System besser im Gleichgewicht miteinander. Dies ist zum einen eine Folge der Erfahrungen, die man im Laufe des Lebens mit seinen Gefühlen gemacht hat. Zum anderen ist es aber auch ein Zufallsprodukt der Gehirnalterung, da die Amygdala stärker Alterungsprozessen unterworfen ist als der orbitofrontale Stirnlappenanteil. Die Konsequenz ist in jedem Fall, dass vor allem der orbitofrontale Cortex als Bestandteil des präfrontalen Cortex eine bessere Kontrolle über die Amygdala hat bzw. die Amygdala auf den emotionalen Gehalt, vor allem was Angst und Aggressivität angeht, weniger stark reagiert. Die Kontrolle der eigenen Gefühle ist das eine, aber wie verhält es sich im Alter mit dem Erkennen von Gefühlen, Absichten und Denkprozessen bei anderen Menschen? Anders gesagt: Wie entwickelt sich die Empathiefähigkeit im Alter?
Mit dem Alter besser denn je: Emotionale Intelligenz
Ob jung oder alt, oft stellt uns die Welt vor eine kaum überschaubare Anzahl von Wahlmöglichkeiten. In diesen Fällen vereinfachen Emotionen Entscheidungen, indem sie viele Optionen einfach ausschließen und andere hervorheben. Emotionen lenken also maßgeblich unser Handeln, auch das, was wir für rational halten. Schon im Stamm des Wortes »Emotion« wird dies deutlich: Es leitet sich von dem lateinischen Verb movere ab, was für »bewegen« steht, und mit dem Präfix »e« zu »hinwegbewegen« wird. Der etymologischen Erklärung zufolge wohnt Emotionen also eine Tendenz zum Handeln inne. Und entsprechend ist die Lebensintelligenz eines Menschen nicht nur eine Frage der Rechengeschwindigkeit des Gehirns (die nimmt mit dem Alter ab), sondern auch eine Frage der Gefühlskontrolle und -einschätzung (die mit jedem Lebensjahr besser wird). Man bezeichnet sie als emotionale Intelligenz. Sie umfasst:
■die Fähigkeit, eigene Gefühle zu erkennen und zu kontrollieren (intrapersonale Intelligenz);
■die Fähigkeit, Gefühle anderer zu deuten und entsprechend zu reagieren (interpersonale Intelligenz).
Das Konzept für diese Art von Intelligenz entwickelten 1990 zwei amerikanische Psychologen: Peter Salovey und John Mayer. Aber erst fünf Jahre später machte der New York Times -Reporter Daniel Goleman mit seinem Bestseller Emotionale Intelligenz den Begriff populär. Von ihm stammt auch das Kürzel EQ , eine Anspielung auf den IQ, wobei Intelligenz im Erwachsenenalter – anders als bei Kindern – gar nicht mehr als Quotient angegeben wird (der IQ bezeichnet den Wert, wie weit man sich hinsichtlich seiner Intelligenz über oder unter dem Durchschnitt der Bevölkerung bewegt). Die emotionale Intelligenz umfasst ein ganzes Bündel emotionaler Fähigkeiten, deren wichtigste Komponenten sind:
■der Zugang zu eigenen Gefühlen und die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Gefühlsregungen sehr genau unterscheiden zu können;
■Emotionen so kontrollieren zu können, dass sie angemessen sind;
■Emotionen in den Dienst eines Ziels zu stellen, z. B. indem man in der Lage ist, auf eine große Belohnung zu warten und dafür auf eine kleinere, sofort verfügbare zu verzichten;
■Empathie, d. h. gut einschätzen zu können, was andere Menschen fühlen (Menschenkenntnis);
■Umgang mit den Emotionen anderer Menschen (Familie, Freunde, bei der Arbeit mit Chefs, Kollegen oder Angestellten) und das Lösen von Konflikten.
Wenn es darum geht, welche Rolle Gefühle bei Entscheidungen spielen, verwechseln wir gerne Affekte (Gefühlsausbrüche) mit der emotionalen Untermalung von erlebten, erdachten und vorgestellten Handlungen. In der Tat sind aus dem Affekt heraus getroffene Entscheidungen häufig nicht so gut wie Entscheidungen, bei denen das Gehirn Zeit hatte, das
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