Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
gestellte Problem zu bearbeiten. Wobei »bearbeiten« keineswegs immer das bewusste Durchdenken eines Problems in Form von Worten oder Gedanken meint.
Gleich mehrere große Altersstudien konnten zeigen, dass die emotionale Intelligenz der Menschen im Laufe ihres Lebens zunimmt. Dazu wurden Personen über mehr als 50 Jahre hinweg befragt. Die Ergebnisse sind verblüffend: Die höchsten Werte hinsichtlich der emotionalen Intelligenz werden jenseits des 60. Lebensjahres erreicht. Es bedarf also viel Lebenserfahrung, abgespeichert als Verhaltensregeln und Erinnerungen im präfrontalen Cortex, und eines ausgewogenen Gleichgewichts zwischen der Hemisphären-Tätigkeit auf der einen Seite und einer Kontrolle des limbischen Systems auf der anderen Seite, um seine emotionale Intelligenz optimal einsetzen zu können (weitere Details siehe Kapitel 6).
»Es gibt kaum
ein beglückenderes
Gefühl, als zu spüren,
dass man für andere
Menschen etwas
sein kann.«
Dietrich Bonhoeffer
Es wäre falsch zu glauben, dass es sich hier um eine automatische Entwicklung handelt. Weder wird jeder unweigerlich mit dem Alter weise oder emotional kontrollierter, noch gibt es einen Automatismus, der ältere Menschen dazu befähigt, die Absichten anderer zu durchschauen bzw. sich in deren Gefühlswelt zu versetzen. Aber Lebenserfahrung und die mit der Alterung des Gehirns einhergehenden Veränderungen führen dazu, dass ältere Menschen bessere Voraussetzungen mitbringen, mit emotionalen Schwankungen zurechtzukommen und eine positive emotionale Bewertung von Problemen vorzunehmen. Nicht jeder Ältere ist darin jüngeren Menschen überlegen, aber man stellt fest, dass die meisten Menschen hinsichtlich der emotionalen Kontrolle und der Einschätzung der Gedanken und Gefühle anderer Menschen im Alter besser werden, und zwar unabhängig von ihrer Begabung. Wer dies in jungen Jahren schlecht konnte, wird meist auch im Alter noch impulsiv sein und andere Menschen schlecht einschätzen können – aber er wird sich leichter tun als noch in jungen Erwachsenenjahren.
Noch ein anderer Aspekt des Alterns muss genannt werden: Ältere Menschen sind überproportional karitativ tätig, in Vereinen und vielen sozialen Institutionen. Hierzu befragte Senioren geben an, dies aus einem Gefühl der Verantwortlichkeit ihren Mitmenschen gegenüber zu tun und weil man etwas zurückgeben möchte. Das Erstaunliche daran ist, dass ehrenamtlich engagierte Senioren gesünder, aktiver, länger und sogar glücklicher leben, wie eine Studie der Johns Hopkins University in Baltimore ( USA ) aus dem Jahr 2006 ergab. Das intuitive Wissen um diese positiven verjüngenden Effekte kommt dem Einzelnen zugute, aber auch der Gesellschaft.
Wenn alte Männer weinen
Hormone üben einen erheblichen Einfluss auf unsere Gefühlswelt aus, im Positiven wie im Negativen: vom erregenden Gefühl, verliebt zu sein, bis zu posttraumatischen Stresssymptomen. Zum einen wirken hier Hormone, die vom Gehirn selbst ausgeschüttet oder in Auftrag gegeben werden, etwa die Geschlechtshormone, deren Tages-, monatlicher und jahreszeitlicher Rhythmus vom Gehirn bestimmt wird; aber die Hormone selbst wirken auch auf das Gehirn zurück. Nun nimmt die Produktion der Geschlechtshormone mit dem Alter generell ab, und dies hat auch Auswirkungen auf unser Gehirn und unser Verhalten, denn das Gehirn ist voll mit molekularen Antennen (Rezeptoren), an denen Hormone andocken und eine fein kalibrierte Reaktion der Nervenzellen auslösen. Ganz generell gibt es mit fortgeschrittenem Alter eine Reihe von körperlichen Veränderungen, die mit einem geänderten Hormonhaushalt bei Männern und Frauen zusammenhängen. Die Wechseljahre (Menopause, Klimakterium) der Frauen sind dadurch gekennzeichnet, dass in den Eierstöcken die Geschlechtshormone Progesteron und Östrogen deutlich weniger gebildet werden; der weibliche Zyklus wird dadurch schwächer und tritt schließlich gar nicht mehr ein. Männer erleben zwar keine Wechseljahre, doch auch ihr Körper produziert mit den Jahren weniger Geschlechtshormone, vor allem das männliche Testosteron. Im Gegensatz zum weiblichen muss der männliche Körper aber nicht innerhalb weniger Jahre einen starken Abfall des Hormonspiegels verarbeiten. Bei Männern sinkt dieser über viele Jahre hinweg ganz allmählich. Während die weibliche Fruchtbarkeit mit der letzten Regelblutung endet, nimmt die männliche Zeugungsfähigkeit mit zunehmendem Alter meist nur langsam ab.
Männer
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