Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)

Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)

Titel: Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Korte
Vom Netzwerk:
produzieren – ebenso wie Frauen – ein Leben lang Östrogene, jedoch in einem anderen Mischungsverhältnis als bei diesen. Nimmt der Testosteronspiegel ab, stellt sich bei ihnen ein verändertes Verhältnis von Östrogenen zu Testosteron ein. Hinzu kommt, dass mit Hilfe eines Enzyms Testosteron in Östrogene umgewandelt wird (Aromatase). Dieses Enzym befindet sich vor allem im Fettgewebe – das bedeutet auch, dass Männer nicht wegen des Östrogens im Alter Fettgewebe im Brust- und Hüftenbereich ansammeln, sondern umgekehrt dieses Fettgewebe erst für die verstärkte Umwandlung von Testosteron in Östrogen sorgt.
    Da Östrogene das soziale Einfühlungsvermögen verbessern, ist der gesteigerte Östrogenspiegel vermutlich einer der Gründe, dass ein signifikanter Anteil älterer Männer jenseits der 70 empfindsamer wird, öffentlich Tränen vergießt, von Gefühlen »übermannt« wird. Östrogen sinkt weit weniger deutlich als das Testosteron, dadurch kommt die Östrogenwirkung stärker zur Geltung. Damit hat die bessere emotionale Kontrolle, die oben beschrieben wurde, auch im Alter ihre Grenzen – vor Trauer zu weinen oder vor Freude eine Träne zu vergießen sind allerdings keine störenden emotionalen Signale, sondern wichtige Komponenten der zwischenmenschlichen Kommunikation.
    Inwiefern sich der mit den Wechseljahren abfallende Östrogenspiegel bei Frauen auf ihre emotionalen Regungen auswirkt, ist nicht bekannt bzw. die Ergebnisse sind hier widersprüchlich. Unter anderem hängt es damit zusammen, dass Östrogen in seinen neuronalen Wirkmechanismen einen natürlichen Gegenspieler hat, das Progesteron. Die Wirkung von Östrogen auf das Gehirn hängt also nicht allein von seiner Konzentration ab (die im Alter sinkt), sondern davon, wie viel Östrogen im Vergleich zu Progesteron vorhanden ist. Hier hat sich nun herausgestellt, dass die Verfügbarkeit von Progesteron im gleichen Maße – bei einigen Frauen sogar stärker – sinkt, wie dies bei Östrogen der Fall ist. In jedem Fall scheinen Frauen hinsichtlich ihrer emotionalen Regungen über die gesamte Lebensspanne hinweg »stabiler« zu sein als Männer. Bis zur Pubertät weinen Mädchen und Jungen in etwa gleich viel. Da in den meisten Kulturen Weinen bei Männern aber als »unmännlich« gilt, weinen erwachsene Männer statistisch weniger als erwachsene Frauen. Es gibt keine abschließenden Untersuchungen darüber, wie es sich im Alter verhält, aber mehrere unabhängige Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Häufigkeit des Weinens bei Senioren und Seniorinnen sich wieder angleicht.
    Eine häufig diskutierte Frage ist die nach der Wirksamkeit von Östrogenpflastern während der weiblichen Menopause. In der Tat mögen sie gegen Schlafstörungen und Hitzewallungen helfen, eine schützende Wirkung im Bezug auf die Alzheimer-Erkrankung konnte bisher allerdings nicht nachgewiesen werden. Nachdem man in Tierexperimenten zeigen konnte, dass Östrogen einen höheren Vernetzungsgrad von Nervenzellen im Gehirn bewirken kann, hatte man eine Zeit lang angenommen, dass die Hormone auch eine schützende Wirkung vor der Alzheimer-Erkrankung entfalten könnten, da ein Mehr an Synapsen kompensatorisch vor dem Alzheimer-bedingten Synapsenverlust schützen kann. Aber leider kommen die großen Alzheimer-Studien zu keinem eindeutigen Ergebnis. Einige finden einen leicht positiven Effekt (Östrogene schützen vor Alzheimer), die meisten konnten allerdings keine Korrelation zwischen dem Auftreten der Alzheimer-Erkrankung und der Einnahme von Östrogenen belegen. Allerdings konnten einige Studien eine Beziehung zwischen Östrogengabe während der Menopause und dem vermehrten Auftreten von Brustkrebs herstellen.
    Stressreaktionen durch Überforderung
    Während die emotionale Kontrolle und die emotionale Intelligenz zunehmen, ist man auch im Alter nicht gefeit vor Stress und seinen physiologischen Reaktionen in Körper und Gehirn. Insbesondere in Situationen, in denen ältere Menschen sich ob der Reizüberflutung überfordert fühlen – etwa wenn man in einer Gruppe von mehreren sich unterhaltenden Menschen das Gesagte nur bruchstückhaft versteht oder man nicht mehr so gut mehrere Tätigkeiten gleichzeitig erledigen kann (Multitasking, siehe Kapitel 3) –, kommt es schnell zu Stressreaktionen des Körpers: Das Arbeitsgedächtnis ist überlastet, und die Unterdrückung der Amygdala durch den orbitofrontalen Cortex funktioniert nicht mehr, da dieser mit der Verarbeitung von

Weitere Kostenlose Bücher