Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
Gedächtnisstörungen die Folge sein.
Insofern ist es sinnvoll, wenn Gedächtnisprobleme auftauchen, sich selbst auf Stress und psychische Belastungen hin zu befragen bzw. diese zu reduzieren oder eingenommene Medikamente auf ihre Dosis (und Notwendigkeit) hin zu überprüfen. Auch Entspannungsübungen wie Yoga, autogenes Training oder Tai-Chi können dem Gedächtnis wieder auf die Sprünge helfen – sie mindern den Stress und normalisieren den Gehirnstoffwechsel und -rhythmus wieder. Gehirnjogging ist hier meist die falsche Therapie.
Nehmen die Schusseligkeiten aber zu und lassen sich nicht mehr einfach durch Entspannungsübungen beheben und betreffen immer wieder auch Dinge, die zu vergessen man sich nie hätte vorstellen können, empfiehlt es sich, eine Gedächtnisambulanz aufzusuchen und der unerklärlichen Verschlechterung des Merkvermögens auf den Grund zu gehen. In persönlichen Gesprächen sowie mit Hilfe von psychologischen und hirnphysiologischen Untersuchungen klären Spezialisten dort ab, ob überhaupt eine Merkstörung vorliegt – und falls ja, warum. Eine typische Testreihe könnte so aussehen:
Punkt 1: Die Merkfähigkeit selbst wird getestet. Dazu muss der Patient sich Wörter einprägen und sie später aktiv (d. h. ohne Hinweisreize) oder passiv (d. h. mittels Hinweisreizen) wiedergeben. Letzteres ist für ein unerkranktes Gehirn eine einfache Übung, aber es spricht vieles für eine beginnende Demenz, wenn man hier schlecht abschneidet, d. h. zum Beispiel aus einer 10er-Wortliste nur 2 oder 3 Wörter erinnert (normal wären mindestens 5).
Punkt 2: Der Patient muss versuchen, Zahlen und Buchstaben miteinander zu verbinden, die durcheinander auf einem Blatt stehen. Er soll die Ziffer »1« durch einen Strich mit dem ersten Buchstaben des Alphabets, dem »A«, verbinden, dann weiter zur »2«, von dort aus zum »B« und so weiter. Der Wechsel zwischen Buchstaben und Zahlen erfordert eine gewisse mentale Flexibilität – und gerade sie ist bei Patienten, die am Beginn einer Demenz-Erkrankung stehen, anders als bei Personen mit normalen Alterserscheinungen, oft eingeschränkt.
Punkt 3: Der Patient wird auf seine Konzentrationsfähigkeit hin überprüft. Er muss zeigen, ob er es schafft, die selektive Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Aspekt einer Situation zu fokussieren und alles andere auszublenden. Im richtigen Leben passiert das beispielsweise, wenn wir einem Gesprächspartner zuhören, ohne uns vom Geplauder in der Umgebung ablenken zu lassen. Im Test zeigt der Neuropsychologe seinem Patienten ein Blatt, auf dem die Namen Dutzender Farben geschrieben stehen. Die Schrift ist jedoch jeweils anders gefärbt, als es das Wort vermuten ließe. »Gelb« prangt also beispielsweise in grünen Buchstaben auf dem Papier. Der Kandidat muss so schnell wie möglich die Farben der Worte benennen. Keine leichte Aufgabe, muss man doch bei diesem sogenannten Stroop-Test seine natürliche Tendenz, die Wörter zu lesen, unterdrücken und sich ganz auf die Farben konzentrieren.
Punkt 4: Um das räumliche Vorstellungsvermögen zu testen, bittet der Neurologe den Patienten, aus dem Kopf eine Uhr mit zwölf Ziffern zu zeichnen (Abb. 31).
Abbildung 31: Uhren-Test
Ein wichtiger Test zur Einstufung von potenziellen Alzheimer-Patienten ist ein simpler Uhren-Test, bei dem eine Uhr mit der proportional richtigen Zwölfer-Einteilung gemalt werden muss. Rechts ist die von einem Alzheimer-Patienten gezeichnete Uhr zu sehen, die keine richtige räumliche Einteilung der zwölf Ziffern und deren Markierung zeigt.
Punkt 5: Da eine Demenz nicht nur mit einem Gedächtnisverlust einhergeht, wird auch das allgemeine Denk- und Rechenvermögen getestet. Dazu müssen die Probanden Gesten imitieren, einfache Rechenaufgaben lösen oder Wörter niederschreiben, die man ihnen diktiert.
Im Übrigen kommt man bei einer so gründlichen Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten gar nicht so selten zu dem Ergebnis, dass keine Gehirnanomalie vorliegt, sondern Geschwindigkeit und Präzision beim Lernen, die altersbedingt nachgelassen haben, nicht mehr unseren Erwartungen an uns selbst genügen. Dass die enorm hoch sind, hängt unter anderem damit zusammen, dass das Thema Gedächtnis zunehmend in das Interesse öffentlicher Berichterstattung rückt und dabei manchmal die Illusion geweckt wird, unsere kognitiven Möglichkeiten seien grenzenlos. Dermaßen sensibilisiert, glauben viele Menschen bei sich Defizite zu entdecken und therapieren
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