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Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)

Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)

Titel: Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Korte
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Scheitern eines Lösungsansatzes mit einzubeziehen, denn häufig klappt weder Lösung A noch Lösung B. Diese Fähigkeit des Gehirns, mit einzukalkulieren, was sich ereignen könnte, wenn gewisse andere Dinge (nicht) eintreten, wird als kontrafaktisches Denken bezeichnet; es ist eine Denkweise, die für eine vernünftige Entscheidungsfindung nicht nur in moralischen Fragen wichtig ist.
    Nun gibt es im Gehirn kein genetisch zu füllendes Areal für Moral, aber kulturelle Vorstellungen und persönliche Erfahrungen werden im präfrontalen Cortexanteil des Stirnlappens zusammengeführt. Wie die Arbeitsgruppe um die Französin Nathalie Camille anhand bildgebender Verfahren zeigen konnte, geht die Fähigkeit zu kontrafaktischem Denken verloren, wenn der orbitofrontale Cortex geschädigt ist. Dies weist nun auf einen interessanten Zusammenhang hin: Der orbitofrontale Cortex ist uns schon mehrfach als das Gehirnareal begegnet, das die eigenen Emotionen kontrolliert und erkennt, aber auch die anderer Menschen. Wie gut wir uns in die Gefühls-, aber auch Gedankenwelt eines anderen hineinversetzen können, hat mit unserer Empathiefähigkeit zu tun. Um einem Menschen in einer schwierigen Lebenssituation einen guten Rat geben zu können, muss man einiges über ihn bzw. seine Gefühls- und Denkwelt wissen. Dazu darf man aber nicht zu ichzentriert sein, eine psychologische Kategorie, vielmehr muss man bereit sein, sich auf andere Menschen einzulassen. Untersucht man Ichbezogenheit in Bezug auf Weisheit, zeigt sich, dass Menschen, die als weise bezeichnet werden, eine starke Offenheit gegenüber anderen Menschen haben und meist eine große Gabe zur Empathie besitzen. Wie gleich mehrere Altersstudien belegen, nimmt die Fähigkeit der Empathie mit zunehmendem Alter zu, während die Ichzentriertheit im statistischen Mittel abnimmt. Zwar schließt diese Mittelwertverschiebung egoistische ältere Menschen nicht aus, im Allgemeinen aber sind ältere Menschen im Vergleich zu ihrer Zeit als junge Erwachsene stärker anderen Menschen zugewandt. Vorausgesetzt, dass Krankheit und der Verlust der sozialen Umgebung nicht dazu führen, dass sie eher isoliert leben.
    Einer der entscheidenden Wissensschätze für Weisheit und Kompetenz ist das sogenannte präskriptive Wissen. Hier haben wir abgespeichert, wie die Dinge sein sollten und was wir tun müssen, um sie entsprechend unseren Wünschen und Bedürfnissen zu gestalten. Es handelt sich also um das Wissen über eine gewünschte Handlungsweise, und dazu gehört auch das Wissen, das man benötigt, um in einer Bürgerinitiative oder einer politischen Partei erfolgreich zu sein. Dem entgegen steht das sogenannte deskriptive Wissen. Man bezeichnet damit das Wissen darum, wie die Dinge sind, z. B. Wissen über objektivierbare Dinge wie einfache Additionsaufgaben (5+5=10) oder Faktenwissen wie die Hauptstadt von Frankreich, das Datum der Hochzeit etc.
    Hirnanatomisch kann man diese Wissensschätze in verschiedenen Arealen des Gehirns verorten. Das deskriptive Wissen ist vorwiegend im hinteren Teil der Großhirnrinde lokalisiert, also im Schläfen-, Scheitel und Hinterhauptslappen (Temporal-, Parietal- und Occipitallappen). Im Unterschied dazu wird das präskriptive Wissen im vorderen Teil des Gehirns, im Stirnlappen (Frontallappen) gespeichert (Abb. 30). Gerade im Alter verlieren Menschen im Bereich des deskriptiven Wissens an Präzision und Geschwindigkeit, das präskriptive Wissen aber kann sogar noch besser werden, in jedem Fall bleibt es auch in späteren Jahren als Wissens- und Handlungskategorie erhalten.

    Abbildung 30: Wissen und Wissensschätze
    Präskriptives Wissen ist eine Funktion des Stirnlappens, während deskriptives Wissen vor allem in den Grenzgebieten von Scheitel-, Schläfen-, und Hinterhauptslappen gespeichert und verarbeitet wird.
    Kreativität im Alter
    Während Weisheit in der Tat ein Attribut des Alters ist, wird Kreativität der »wilden« Jugend zugeschrieben. Der renommierte amerikanische Altersforscher Gene D. Cohen argumentiert in seinem Buch Geistige Fitness im Alter überzeugend gegen dieses Altersstereotyp. Auf der Basis einer Vielzahl großer Altersstudien argumentiert er, dass jede Altersstufe ihr ganz eigenes kreatives Potenzial hat, das sich auf unterschiedliche menschliche Fähigkeiten zurückführen lässt. Kreativität, so Cohen, ist deshalb unterschiedlich ausgeprägt in den einzelnen Altersstufen. Während Kreativität also in der Jugend etwas mit dem

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