Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
sind. Hierbei handelt es sich um Eiweißablagerungen in Zellen – im Unterschied zu den Plaques, die sich außerhalb der Nervenzellen befinden –, die aus bestimmten Skelettkomponenten der Zellen entstanden sind. Wie man heute weiß, bestehen sie zu einem erheblichen Teil aus Tau. Dieses Eiweiß stabilisiert in den Axonen wiederum andere Strukturelemente, die Mikrotubuli, eine Art Skelett in den Zellen, das anders als das Körperskelett des Menschen aus beweglichen Eiweißmolekülen besteht. Zusammen mit anderen Zellskelettelementen sorgen die Mikrotubuli nicht nur für eine gewisse Stabilität der Zellen, sie sind auch die »Eisenbahnschienen«, auf denen innerhalb der Zellen »Güter« transportiert werden, etwa die Mitochondrien, die Energiekraftwerke der Zellen. Axonale Fortsätze können bis zu einem Meter lang sein, und wenn der Transport kollabiert, stirbt die Zelle ab. Bei der Alzheimer-Erkrankung konnte nun beobachtet werden, dass die neurofibrillären Bündel vor allem durch ein verändertes Tau verursacht werden, dem zu viele stark negative kleine Molekülgruppen angehängt werden. Dadurch löst Tau sich von den Mikrotubuli ab, und diese fallen mangels Stabilisierung in sich zusammen. Die dadurch entstehenden neurofibrillären Bündel stören nun das Gleichgewicht der Zellen, wesentliche Transportprozesse in den Nervenzellen finden nicht mehr statt.
Wie es dazu kommt, dass sich mit zunehmendem Alter dieses veränderte Tau ansammelt, ist bislang nicht geklärt. Eine Theorie besagt, dass durch die Plaquesbildung aus Abeta eine Calcium-Signalkaskade in den umliegenden Zellen ausgelöst wird, die dann dazu führt, dass die vielen Phosphatgruppen an das Tau angebunden werden. Um diese These zu überprüfen, haben unter anderem Forscher in Zürich einen Mäusestamm gezüchtet, der übermäßig viel verändertes Tau produziert. In der Tat nahm die Zahl der Tau-Neurofibrillen dramatisch zu, wenn man in diese Mäusegehirne Abeta gab. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass Abeta und die daraus resultierenden Plaques (Abb. 33) der Auslöser der Alzheimer-Erkrankung sind und die Tau-Neurofibrillen das Ereignis, welches die Zellen schleichend, aber unaufhaltsam tötet.
Abbildung 33: Plaques und Tau im Wechselspiel
Die Wurzeln des Übels sind fatale Proteinablagerungen: Das Amyloid-Vorläuferprotein (APP) sitzt in der Zellmembran des Neurons und kann an drei verschiedenen Stellen zerschnitten werden (siehe Bild A). Wird es vom Enzym α -Sekretase gespalten, entstehen harmlose Fragmente. Schlagen jedoch β - und γ -Sekretase zu, bildet sich β -Amyloid, das außerhalb der Nervenzellen zu Amyloid-Plaques verklumpt (Bild B). Das Eiweißmolekül Tau stabilisiert die Mikrotubuli im Axon des Neurons, die wiederum das Skelett sowie das Transportwegenetz der Zelle bilden. Bei Alzheimer-Patienten werden die Tau-Proteine durch Kinasen mit Phosphatgruppen überfrachtet; Kinasen sind Enzyme, z. B. Katalysatoren chemischer Reaktionen, die Phosphatgruppen von einem Molekül – etwa ATP – an Eiweiße anbringen (Bild C). Solche phosphorylierten Tau-Proteine lösen sich von den Mikrotubuli und verbacken innerhalb der Nervenzellen zu Tau-Fibrillen. Die Mikrotubuli zerfallen – das Zellskelett bricht zusammen (Bild D).
Anders als man annehmen könnte, findet das Absterben von Nervenzellen nicht gleichmäßig im Gehirn statt; vielmehr beginnt es vorne (frontal), und zwar häufig zunächst in unserem Riechhirn (Regio entorhinalis, in dem auch Geruchseindrücke verarbeitet werden), was nicht zuletzt erklärt, warum bei vielen Alzheimer-Patienten zuerst der Geruchssinn beeinträchtigt ist. Erst von hier aus erfolgt der neuronale Kahlschlag im Hippocampus, dann greifen die Neurofibrillen und Plaques auf die gesamte Großhirnrinde über. Es kommt zum Massensterben von Nervenzellen, in dessen Folge einige Botenstoffe im Gehirn nur noch vermindert produziert und ausgeschüttet werden. Zu dem Botenstoffsystem, das sehr früh und besonders stark von der Alzheimer-Demenz betroffen ist, zählen Nervenzellen im Nucleus basalis, einem Gehirnareal, das im vorderen, unteren Teil des menschlichen Gehirns sitzt und als Botenstoff das Acetylcholin verwendet; durch seine Verbindungen in den Hippocampus und den Stirnlappen hinein hat es eine große Bedeutung für die Aufmerksamkeit sowie für Lern- und Gedächtnisvorgänge. Da der Botenstoff Acetylcholin wichtig für die selektive Aufmerksamkeit ist und darüber hinaus die Stabilität von
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