Jung im Kopf: Erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung in das Älterwerden (German Edition)
kanadische Lebenserwartung bei 79 Jahren liegt, bedeutet dies, dass eine fünf Jahre später einsetzende Erkrankung bei Menschen jenseits der 70 sich in eine Halbierung der Alzheimer-Rate übersetzt – ganz einfach deshalb, weil Menschen, die mit 83 Jahren Alzheimer bekommen hätten, aus ganz anderen Gründen bereits mit 80 Jahren gestorben sind! Das Phänomen erklärt sich folgendermaßen: Wer zwei Sprachen spricht, muss ständig in seinem Arbeitsgedächtnis sortieren, in welchen Sprachenkontext die Wörter, die er aufnimmt, gehören. Er trainiert also ständig (!) seine Exekutivfunktion im präfrontalen Cortex – was zu zusätzlichen kognitiven Ressourcen führt, die den symptomatischen Beginn der Alzheimer-Krankheit für viele Jahre kompensieren können. Ob dies auch bei Sprachen funktioniert, die man erst im Alter lernt, ist eine spannende Frage zukünftiger Forschung. Eventuell gelten diese Erkenntnisse sogar dann, wenn man in seiner Muttersprache ein relativ hohes Niveau erreicht: So konnte die kalifornische Nonnenstudie, an der immerhin fast 700 Probandinnen teilnahmen, zeigen: Je elaborierter die Sätze waren, die die Schwestern im Alter von 20 Jahren von sich gaben, desto mehr war das Auftreten einer Demenz nach hinten verschoben. Dies wird unterstützt durch den Befund, dass Menschen mit einem niedrigen Bildungsstandard ein zweimal höheres Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken, als Menschen mit einem hohen Bildungsstandard. Gehirne, die ein Leben lang gelernt haben, sind die effektiveren; sie benötigen weniger Gehirnressourcen, um eine Aufgabe zu lösen, was eventuell ebenfalls zu höheren kognitiven Reserven beiträgt. Menschen mit hoher Bildung zeigen allerdings auch einen anderen Krankheitsverlauf: Ist die Krankheit einmal diagnostiziert, verläuft sie heftiger und die Patienten versterben schneller – ein Beleg dafür, dass die Krankheit im Gehirn schon weit fortgeschritten war, aber erst spät zum Durchbruch kam. Bildung schützt also nicht im engeren Sinne vor Alzheimer, es maskiert die Symptome aber für einige Jahre – eine gleichermaßen persönliche wie bildungs- und gesundheitspolitisch weitreichende Erkenntnis!
Bemerkenswert ist der Umstand, dass die Chance, an Alzheimer zu erkranken, um 38 % sinkt, wenn man sportlich aktiv ist; sie sinkt um weitere 12 %, wenn man sozial aktiv ist. Soziale Aktivität kann karitative Tätigkeiten umfassen, aber auch Reisen und das Pflegen eines Freundeskreises. All das trainiert das Gehirn, weil es uns zwingt, uns mit der komplexen Gedanken- und Gefühlswelt anderer auseinanderzusetzen.
Demenz und Depression
Eine Demenz beginnt häufig mit einer Depression. Sie sollte jedoch nicht damit verwechselt werden, auch wenn sie eine Reihe von Merkmalen mit ihr gemein hat.
Demenz
Depression
schleichender Beginn
Beginn lässt sich oft genau datieren
Der Betroffene hat keine Einsicht in seine Beschwerden
nimmt Störungen der Leistungsfähigkeit meist stark wahr
häufig Unruhe
häufig Lethargie
meist keine vorherigen neurologischen Behandlungen
häufig psychiatrische Vorbehandlungen
Langzeitgedächtnis betroffen
Langzeitgedächtnis zunächst nicht betroffen
Die Unterschiede zwischen einer Depression und einer beginnenden Demenz zu kennen ist entscheidend für die Wahl der richtigen Therapie. So haben viele Antidepressiva (der älteren Medikamentengeneration) eine anticholinerge Wirkung, die die Wirksamkeit des Botenstoffs Acetylcholin begrenzt. Dies gilt es aber bei Alzheimer-Patienten unbedingt zu verhindern, da sie unter einer Unterversorgung mit Acetylcholin leiden, denn wie wir bereits gesehen haben, sterben die diesen Botenstoff produzierenden Zellen besonders früh im Verlauf der Erkrankung ab und tragen dadurch maßgeblich zu den massiven Gedächtnisproblemen bei. Ein Großteil der Medikamente, die die Alzheimer-Symptomatik mildern, verstärken die Wirkung auf Acetylcholin-Rezeptoren bzw. verlängern die Wirksamkeit des Acetylcholins im synaptischen Spalt.
Alzheimer-Patienten sollten also keine sogenannten trizyklischen Antidepressiva (der Name ergibt sich aus der chemischen Struktur) einnehmen, sondern lieber auf neuere Antidepressiva zurückgreifen, vor allem solche, die gezielt auf Serotonin oder Noradrenalin einwirken.
Angehörige von Alzheimer-Patienten
An der Stelle soll auch ein Blick auf die Angehörigen von Alzheimer-Erkrankten geworfen werden. Die Alzheimer-Demenz ist nicht nur eine gesellschaftliche Herausforderung mit riesigen
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