Jungs sind keine Hamster
zurück ins Hier und Jetzt. Mittenrein ins Jungsklo.
„Äh, natürlich … Klar. Logisch. Entschuldige.“
Ich ließ mich zur Seite plumpsen und Lore half mir hoch.
Der Gorilla rappelte sich auf. Er drückte ächzend seinen Rücken durch und wackelte mit dem Kopf, um zu prüfen, ob er noch dran und heil war. Ich hatte ihn wohl übler erwischt, als ich gedacht hatte. Gut, dass ich so wenig wog. Ich schwebte als dünner Winzling ja geradezu über dem Boden und konnte nur mit viel Mühe ein Loch in meine Matratze liegen.
„Hab ich dir wehgetan?“, fragte ich vorsichtig nach.
„Was?“ Der Affe hatte mich nicht verstanden.
„Hab ich dir wehgetan?!“, schrie ich ihn an, wobei ich versuchte, mein Gebrüll höflich und nett klingen zu lassen. Was gar nicht so einfach war. Jemanden nett anbrüllen ist fast unmöglich. Probiert es mal aus. Am besten morgens, wenn euer Gegenüber noch nicht richtig wach ist.
„Nee, geht schon“, drang seine Stimme dumpf durch den Affenkopf. Keine Ahnung, wer aus unserer Schule in dem Kostüm steckte. Dann zeigte der Gorilla auf das Pinkelbecken.
„Nur zu. Lass dich nicht aufhalten“, antwortete Lore und blieb stehen. Der Affe glotzte sie blöd an und Lore glotzte blöd zurück. Wahrscheinlich gab es in der Hölle keine Gorillas.
Ich stellte mich neben Lore. „Ich denke, er will, dass wir rausgehen.“
„Ach so, ja klar.“
Lore packte mich und zog mich aus dem Klo. Kaum hatten wir die Tür nach draußen geöffnet, knallte uns Musik und Geschrei in die Gehörgänge. Lichtblitze durchzuckten den Raum, die Tanzfläche war bereits pickepacke voll mit verkleideten Leuten. Verschwitzte Körper wackelten zu Songs aus den Charts. An der Theke standen die Leute ungeduldig Schlange, während die Thekencrew schreiend Getränke überreichte und abkassierte. Alkohol gab es offiziell keinen, aber einige Typen sahen so aus, als ob sie sich selber welchen besorgt hätten. Immer wieder sah man sie in den dunklen Ecken stehen und verschwörerische Blicke um sich werfen. Fühlten sie sich sicher, zogen sie schnell kleine Flaschen aus ihren Kostümen und entleerten sie in große Plastikbecher. Dann prosteten sie sich lautstark zu und lachten. Die hatten schon jetzt zu viel intus. Das konnte noch heiter werden. Auf den Sesseln und der großen Couch saßen Pärchen und knutschten. Eine blutverschmierte Krankenschwester untersuchte die Mandeln eines Vampirs mit ihrer Zunge und irgendein Kettensägenmörder testete die Reißfestigkeit eines Geishakostüms. Lore gab mir mit Händen und Füßen zu verstehen, dass sie sich jetzt auf die Suche nach Thomas machen würde. Der war als Joker unterwegs. Batmans Erzfeind. Lore mischte sich unter die Leute. Ab und zu sah ich noch ihren Dreizack über den Köpfen wippen. Wie ein Segel im Meer bei Wellengang tauchte er auf und verschwand wieder im Getümmel.
Über der Tanzfläche hing eine Discokugel und darunter hopste eine. Jutta Prötter. Die hatte schwer was auf den Rippen und eine unheimlich extrovertierte Art zu tanzen. Und zwar in Form von Ganzkörperzuckungen, so als ob sie von schweren Stromstößen malträtiert werden würde. Entspannung. Stromstoß. Entspannung. Stromstoß. Jutta hatte sich übrigens als Weihnachtsbaum verkleidet. Sie trug ein grünes Kleid mit angenähten roten Weihnachtskugeln, roten Totenköpfen und Zuckerstangen – als kleine Mahlzeit für zwischendurch. Um mehr zu funkeln, hatte sie sich silbernes Lametta aufgeklebt, und auf dem Kopf trug sie einen schwarzen Engel, der sich verzweifelt in den Haaren festkrallte, während Jutta ihren Körper ruckartig hin und her schleuderte. Die anderen Mädels achteten beim Tanzen deutlich mehr darauf, möglichst cool oder sexy rüberzukommen, während die Jungs sie aus sicherer Entfernung mit offenen Mündern anstarrten. Richtig ausflippen tat nur Jutta. Die scherte sich nicht darum, was andere über sie dachten. Und der Takt der Musik konnte sie auch mal kreuzweise. Die tanzte einfach weiter wie gehabt, obwohl die Musik sich komplett gedreht hatte. Von Soul zu Metal. Jutta war es Wurst. Der Weihnachtsbaum wurzelte in seinem eigenen Film mit seiner eigenen Musik und seinem eigenen Rhythmus. Ich mochte Jutta.
Ich platzierte mich links von der Theke, wo ich niemandem im Weg rumstand und auch nicht weiter auffiel. Die Tanzfläche war mittlerweile total überfüllt. Mit der Stimmung stieg auch die Temperatur merklich an. Immer öfter taumelten verschwitzte Monster, Geister, Werwölfe,
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