Junimond (German Edition)
ihm nur halb zugehört.
»Okay.«
Das war der Vorteil bei Eltern, die hauptsächlich mit ihrer Arbeit beschäftigt waren.
3
»Ich will aussehen, wie diese Menschen!«
»Das sind keine Menschen, das sind Models.«
(30 über Nacht)
Zur gleichen Zeit
Der Spiegel ging bis zum Boden und Olivia war nackt. Doch statt sich anzusehen, fixierte sie im Spiegel den bunten Kronleuchter im Zimmer und zählte die Kristalle, bis ihr klar wurde, dass es aussichtslos war. Es waren zu viele. Es war zu unübersichtlich, es war eine schwachsinnige Idee. Sie hatte nur Angst gehabt, hinzusehen, sich anzusehen. Sie ging zurück zu ihrem Bett, setzte sich und schielte vorsichtig zu ihrem Spiegelbild. Im Sitzen sah man das Pflaster nicht, also war es geschummelt. Aber war nicht alles geschummelt? Immer gab es eine Schicht, die über einer anderen lag, Make-Up oder Kleider, immer war etwas verborgen, nie gab es das ganze Bild. Der Fehler war, dass sie perfekt sein wollte. Und es eigentlich immer gewesen war. Bis jetzt.
Olivia, angelte nach ihrem Slip, schlüpfte in eine zerrissene Jeans und ein enges Unterhemd und zog ein altes T-Shirt darüber. Ares und Nick hatten versprochen, ihr beim Renovieren zu helfen. Irgendwann am Nachmittag, also direkt nach dem Aufstehen, auch wenn sie nicht verstanden, warum sie es selber tun wollte. Niemand verstand das, weder ihr Vater noch Asina, die ihnen den Haushalt machte oder deren Mann, der den Garten pflegte. Dabei war es ganz einfach. Sie wollte allen und vermutlich am meisten sich selbst zeigen, dass sie es konnte. Talent dazu hatte. Und zwar ein Talent, das sie ganz allein entdeckt hatte. Nicht das Klavierspiel, das der Vater von ihr erwartete. Endlose Fingerübungen, die Grundlagen, die Harmonielehre, die Akkorde, das Komponieren. Als müsste sie ihre Gene daran erinnern, was in ihnen steckte, weil ihr Vater ein so begnadeter Filmkomponist war. Na, und? Selbst wenn sie eine überragende Pianistin werden würde, es kam nicht von ihr. Nicht von innen. Denn was bedeutete eine antrainierte Virtuosität? Das hieß doch nur, dass man gehorsam und angepasst war und nichts fand Olivia langweiliger.
Früher war es anders gewesen. Früher hatte sie sich wie eine Prinzessin gefühlt, ihr Vater war der König, das Haus ihr Schloss. Zwanzig Zimmer, riesige Räume. Ihr Traum war ein Kronleuchter, weiße Möbel und ein riesiges Himmelbett gewesen. Natürlich hatte sie alles bekommen. Die Prinzessin konnte alles haben. Aber was war, wenn sie keine Lust mehr hatte, die Prinzessin zu sein?
Ranken, Äste, Blätter, Blüten, zerbrochene und geflügelte Herzen. Die Schablonen für die Muster auf der Wand hatte sie selber gemacht, aber erst mussten die Wände gestrichen werden.
Olivia sah auf die Uhr, die beiden ließen sich mal wieder Zeit. Machten beste Freunde das? Nein.
Sie dachte an Nick. Er war komisch in letzter Zeit. Manchmal fing er aus heiterem Himmel ernste Gespräche an. Warum? Sie hatte ihn schon mit beiden Füßen in einem kleinen Teich Urin stehen sehen, weil er nie sein Spiel unterbrechen wollte, um auf's Klo zu gehen. Er hatte die Kaugummis weitergekaut, die sie für ihn vom Boden aufgehoben hatte und zuverlässig jede Lüge geglaubt, die sie ihm erzählt hatte. Noch mit zehn hatte sie ihm weis gemacht, dass sie zwei Halbbrüder hätte, die drei Sprachen fließend sprachen und in Paris lebten. Nick war eben Nick und sie mochte ihn genau dafür. Und wenn sie manchmal eine Geschichte erfand, dann nur, weil die Tatsache, dass sie ohne Mutter aufgewachsen war, eben durch ein paar erklärende Geschichten geschönt und erläutert werden musste.
Olivia drehte sich im Raum und schätzte die Arbeit ab. Wenn die Jungs nicht bald kämen, dann würde sie einfach schon anfangen. Alle Möbel in die Mitte schieben und dann Folie darüber legen. Was konnte daran so schwierig sein?
Eine Stunde später war Olivia erschöpft und müde. Langsam stellte sie die ganze Aktion in Frage. Im Fernsehen sah das immer alles so einfach aus: Essen kochen, sein Haus umgestalten, sein Leben ändern. In Wirklichkeit scheiterte es schon daran, dass man kein Ei aufschlagen konnte, die Möbel zu schwer waren, um sie allein zu verrücken und das eigene Leben – eben das eigene war und keine Story, die ein Drehbuchautor geschrieben hatte.
Sie schob die Plastikfolie zurück und ließ sich auf ihr Himmelbett fallen, das wie ein Hausboot in der Mitte des Raumes trieb, zog ihre Beine an und atmete in ihre Schmerzen hinein. Der Arzt
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