Junimond (German Edition)
hatte ihr geraten, sich zu schonen. Weder schwer zu heben noch zu tragen. Und er hatte damit sicher nicht gemeint, dass sie Möbel rückte. Nun, sie wollte fertig werden, sie konnte es gar nicht erwarten, alles zu verändern.
Olivia schloss die Augen und dachte an ihren neuen Raum, das neue Leben. Aufregend, dunkel, geheimnisvoll.
Olivia Julie
4
»Alles klar für die Evakuierung der Seele.«
(Fight Club)
Etwas später
Jetzt waren sie schon über eine Stunde unterwegs und angeblich immer noch in Berlin, aber es sah schon lange nicht mehr danach aus.
»Also, wo ist das Haus genau?«
»Auf einmal willst du es wissen.«
»Natürlich will ich wissen, wo ich ankomme.«
»Babelsberg.«
»Scheiße.«
Ihre Mutter bremste hart, der alte VW-Bus hielt im letzten Moment an der roten Ampel, Stella flog nach vorne und hinter ihren Sitzen schoben sich die Möbel zusammen. Den Geräuschen nach zu urteilen, brauchten sie jetzt weniger auszupacken.
»Du kennst den Ort doch gar nicht.«
Stella wusste, dass es unsinnig war, sich mit ihrer Mutter zu streiten. Sie waren seit Jahren wie zwei Schiffbrüchige auf einem Floß, immer unterwegs, in anderen Städten, in anderen Wohngemeinschaften. Und man fing einfach keinen Streit mit seinem Floßkameraden an, wenn es ums Überleben ging. Der VW-Bus röhrte kurz im Leerlauf, ihre Mutter war eine lausige Fahrerin. Stella angelte nach dem Anschnallgurt, den sie aus Trotz nicht angelegt hatte, doch deshalb wollte sie ja nicht gleich sterben.
»Nun, wenn der Ort bedeutend wäre, würde ich ihn ja wohl kennen.«
»Es ist eine tolle Gegend, da haben früher die Filmstars gewohnt und das Haus ist wunderschön und liegt direkt am See.«
Langsam gingen Stella die Argumente aus. Und im Grunde war sie selber Schuld, dass sie sich das Haus nicht schon früher mal angesehen hatte. Ihr Boykott war von Anfang an aussichtlos gewesen. Bis zum Schluss hatte sie rebelliert, wahlweise beschlossen nicht mitzukommen oder zu ihrem Vater zu ziehen. Beides war ausgeschlossen, weder hatte sie Geld für eine eigene Wohnung, noch konnte sie ihren Vater auf seinen Reisen begleiten. Angeblich war es sogar besser für sie. Die neue Schule, der Wechsel, raus aus dem »problematischen« Milieu in Berlin Kreuzberg. Und was war mit ihren Freunden?
Andererseits - niemand hatte sich an ihren Hauseingang gekettet, als sie weggezogen war. Auch der Skater-Boy nicht.
Beim Anfahren an der Ampel ging der Motor aus, ihre Mutter fluchte leise, hinter ihnen begannen die Autos zu hupen. Sie redete doch immer von den Zeichen und dem Spirit und dem Leben im Fluss. Der Wagen war aus, die Leute hupten, und hinten im Laderaum zermörserten sich gerade die Möbel. Stella fand das waren genug Zeichen. Warum nicht einfach umkehren?
Ihre Mutter startete den Wagen neu und fuhr vorsichtig an. Den Bus hatte sie von einer ihrer Hippiefreundinnen geliehen und er war so beladen, dass es Stella nicht wundern würde, wenn er an der nächsten Ecke zusammenbrach.
»Ein Junge hat übrigens nach dir gefragt«, sagte ihre Mutter.
»Wann?«
»Als wir beim Einpacken waren. Du warst gerade oben.«
Ihre Mutter hatte so eine Art, die wirklich wichtigen Dinge ganz lapidar zu erwähnen: Übrigens, dein Vater und ich lassen uns scheiden. Mal eben beim Zwiebeln schneiden. Oder: Wir ziehen nächste Woche um, ich habe ein Haus geerbt, wenn man morgens verschlafen die Augen aufschlug.
»Wie sah er aus?«
»Nett.« Ihre Mutter lächelte. »Blond, groß und kam in einem alten VW-Golf vorbei.«
Stella atmete langsam aus und lächelte. Er war also doch noch gekommen. Auf einmal sah das Leben besser aus. Sogar sehr viel besser.
Sie fuhren durch ein Waldstück, über eine kleine Brücke und ruckelten dann auf Kopfsteinpflaster bis zum Ende der Zivilisation. So kam es Stella jedenfalls vor, als ein Schild auftauchte, das ankündigte, dass sie Berlin nun endgültig verließen.
»Hier war früher die Mauer oder eine Art Schlagbaum. Die Grenze halt«, sagte ihre Mutter und Stella nickte und sah durch das Fenster über ein freies Baugrundstück auf Brachland. Hier hatte die Mauer gestanden und tatsächlich war hier immer noch eine Lücke. Auf der anderen Straßenseite hatten sie allerdings schon ein neues Haus gebaut. Vor dem Gebäude stand noch ein übrig gebliebenes Stück der Mauer, mit Graffiti besprayt wie eine Art Skulptur. Aus etwas Schrecklichem war etwas Schönes geworden und Stella konnte nur hoffen, dass es mit diesem Umzug genauso
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