Jurassic Park
abfließen konnte. Die Frage war nun, welchen Umfang der Graben für dieses Velociraptorfossil haben mußte. Um dies zu entscheiden, benutzten sie CAST, ein Programm zur computergestützten Sonartomographie. Es war ein neues Verfahren, bei dem der Thumper eine weiche Bleikugel in den Boden feuerte und dabei Schockwellen auslöste, die vom Computer registriert und zu einer Art Röntgenbild des Hügels umgesetzt wurden. Sie hatten das Verfahren schon den ganzen Sommer über mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen angewandt.
Der Thumper stand etwa sieben Meter entfernt, ein silberfarbener Handkarren mit einem Regenschirm obendrauf. Er sah aus wie der Karren eines Eisverkäufers und schien deshalb so gar nicht in das erodierte Ödland zu passen. Zwei junge Assistenten standen bei dem Gerät und luden es mit einer neuen Bleikugel.
Bis dahin hatte das CAST-Programm nur Funde lokalisieren und deren Größe angeben können, was Grants Team half, effizienter zu graben. Aber die Jungs behaupteten, in ein paar Jahren sei es möglich, ein so präzises Bild zu erstellen, daß Ausgrabungen überflüssig würden. Man würde ein perfektes, dreidimensionales Abbild der Knochen erhalten, und das würde Türen zu einer Archäologie ohne Grabungen öffnen.
Aber noch war es nicht soweit. Und die Geräte, die im Universitätslabor fehlerlos gearbeitet hatten, erwiesen sich vor Ort als sehr empfindlich und launisch. CAST war sehr störanfällig. »Wie lange noch?« fragte Grant. »Jetzt haben wir's, Alan. Es ist nicht schlecht.«
Grant sah sich das Bild auf dem Monitor an. In leuchtendgelben Linien zeigte es den Umriß eines kompletten Skeletts. Es war wirklich ein sehr junges Exemplar. Das herausstechendste Merkmal eines Velociraptors - die einzelne Zehenklaue, bei einem ausgewachsenen Tier eine gebogene, 15 Zentimeter lange Waffe, mit der es seine Beute aufreißen konnte - war bei diesem Baby nicht länger als der Dorn einer Rose. Auf dem Bildschirm war sie kaum zu erkennen. Der Velociraptor war sowieso ein zartgliedriger Dinosaurier, mit feinen Knochen wie ein Vogel und wahrscheinlich einer ähnlichen Intelligenz.
Das vorliegende Skelett war in perfektem Zustand, nur Kopf und Hals waren stark nach hinten gebogen. Eine solche Halskrümmung fand sich so häufig bei Fossilien, daß einige Wissenschaftler eine Theorie zur Erklärung des Phänomens aufgestellt hatten. Sie behaupteten, das Aussterben der Saurier sei auf eine Vergiftung durch Alkaloide zurückzuführen, die sich in gewissen Pflanzen entwickelt hatten; die zurückgebogenen Hälse seien danach ein Anzeichen für den Todeskampf der Dinosaurier. Grant hatte diese Theorie schließlich widerlegen können, indem er nachwies, daß es bei vielen Vogel- und Reptilienarten zu einer postmortalen Kontraktion der Bänder im Nackenbereich kam, was der eigentliche Grund dafür sei, daß der Kopf auf so charakteristische Weise zurückgebogen wurde. Es hatte also nichts mit der Todesursache zu tun, sondern mit dem Austrocknen des Kadavers in der Sonne. Bei diesem Skelett bemerkte Grant außerdem, daß es auch seitlich verdreht war, so daß der rechte Hinter- und der rechte Vorderlauf über dem Rückgrat lagen.
»Sieht irgendwie verzerrt aus«, meinte einer der Jungen. »Aber ich glaube nicht, daß es am Computer liegt.«
»Nein«, erwiderte Grant. »Es liegt an der Zeit. Einer Unmenge von Zeit.«
Grant wußte aus Erfahrung, daß viele Leute sich die Dimensionen geologischer Zeit nicht vorstellen konnten. Menschliches Leben wurde nach einem vollkommen anderen Zeitmaßstab gemessen. Ein Apfel wurde in wenigen Minuten braun; Silberbesteck in ein paar Tagen schwarz; ein Komposthaufen verfaulte innerhalb einer Jahreszeit; ein Kind wuchs in einem Jahrzehnt auf. Keiner dieser alltäglichen Erfahrungswerte versetzte den Menschen in die Lage, sich die Bedeutung von 80 Millionen Jahren vorzustellen - die Zeit, die vergangen war, seit dieses kleine Tier gelebt hatte. Im Hörsaal hatte Grant es mit anderen Vergleichen versucht. Wenn man sich vorstellte, daß ein Menschenleben von 60 Jahren auf einen Tag komprimiert sei, dann wären die 80 Millionen Jahre immer noch 3652 Jahre - älter als die Pyramiden. Der Velociraptor war also schon sehr lange tot.
»Sehr furchterregend sieht er ja nicht aus«, sagte einer der Jungen. »War er auch nicht«, erwiderte Grant. »Zumindest als Junges nicht.« Das Baby hatte sich wahrscheinlich von Aas ernährt, hatte an den Überresten der von den Elterntieren
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