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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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Ordnung war. Es fühlte sich ganz selbstverständlich an, mit ihm zu reden, obwohl ich normalerweise nicht mit Fremden sprach.
    »Hey, Schwester. Wie sieht’s aus?«
    »Auf der Erde oder im Universum?«
    Er lachte und sagte: »Alles klar!«
    Ich musterte ihn, während er dastand und zum Himmel schaute. Er hatte etwas von Jimi Hendrix, groß, schlank, mit sanfter Stimme, allerdings ein bisschen abgerissen. Er stellte keine Bedrohung dar, murmelte keine Anzüglichkeiten, überhaupt wurde auf der körperlichen Ebene nichts angesprochen, bis auf die absoluten Grundbedürfnisse.
    »Hunger?«
    »Ja.«
    »Komm mit.«
    Die Straße mit den Cafés wachte gerade erst auf. Er blieb an ein paar Läden auf der MacDougal Street stehen. Er begrüßte die Typen, die gerade aufmachten. »Hey, Saint«, grüßten sie zurück, und er quatschte ein bisschen mit ihnen, während ich einen Meter weg stand. »Hast du was für mich?«, fragte er.
    Die Köche kannten ihn und hatten immer etwas für ihn in einer braunen Papiertüte. Er revanchierte sich dafür mit Anekdoten vonseiner Reise aus dem Herzen Amerikas zur Venus und zurück. Wir gingen in den Park, setzten uns auf eine Bank und teilten die Beute: mehrere Brotlaibe vom Vortag und einen Kopf Salat. Er ließ mich die äußeren Blätter des Salatkopfs abzupfen, während er das Brot in zwei Hälften brach. Innen war der Salat teilweise noch knackig.
    »In den Salatblättern ist Wasser«, sagte er. »Das Brot stillt deinen Hunger.«
    Wir packten die besten Salatblätter auf das Brot und aßen selig.
    »Ein echtes Gefängnisfrühstück«, sagte ich.
    »Ja, aber wir sind frei.«
    Das brachte es auf den Punkt. Er schlief eine Weile im Gras, und ich saß einfach still da, ohne Furcht. Als er wach wurde, suchten wir ein Fleckchen ohne Gras. Er nahm sich einen Stock und zeichnete eine Sternenkarte. Er hielt mir einen kleinen Vortrag über die Stellung des Menschen im Universum sowie über das innere Universum.
    »Alles kapiert?«, fragte er.
    »Ist doch nicht schwer zu verstehen.«
    Er lachte ausgiebig.
    Unsere wortlose Übereinkunft bestimmte meine nächsten Tage. Nachts gingen wir getrennte Wege. Ich schaute ihm nach, wenn er davonschlenderte. Er lief meist barfuß, seine Sandalen über die Schulter geworfen. Ich staunte, dass irgendjemand, auch wenn Sommer war, sich traute, barfuß durch die Stadt zu strolchen.
    Über Nacht suchte sich jeder von uns seinen eigenen sicheren Ort. Wir sprachen nie darüber, wo wir schliefen. Am Morgen traf ich ihn im Park, und wir machten unsere Runden und holten »das Überlebensnotwendige«, wie er sagte. Wir aßen Pitabrot und Selleriestangen. Am dritten Tag fand ich zwei Vierteldollar im Gras. Wir leisteten uns im Waverly Diner Kaffee, Toast und Marmelade und teilten uns ein Ei. Fünfzig Cents waren 1967 richtig Geld.
    An diesem Nachmittag fasste er für mich noch einmal alles Wissenswerte zusammen, was es über Mensch und Universum zusagen gab. Die Venus, hatte er mir gesagt, war mehr als ein Stern. »Ich warte darauf, dass ich nach Hause darf«, sagte er.
    Es war ein herrlicher Tag, und wir saßen im Gras. Ich bin wohl eingenickt. Als ich aufwachte, war er nicht da. Nur ein Stück rote Kreide lag noch da, mit dem er oft auf den Gehweg zeichnete. Ich steckte es ein und ging weg. Am nächsten Tag rechnete ich halb damit, ihn wieder zu treffen. Aber er kam nicht wieder. Er hatte mir beigebracht, was ich brauchte, um durchzuhalten.
    Ich war nicht traurig, denn jedes Mal, wenn ich an ihn dachte, musste ich lächeln. Ich malte mir aus, wie er auf einen Waggon der himmlischen Eisenbahn aufsprang, die ihn zu seinem auserkorenen Planeten brachte, der passenderweise nach der Liebesgöttin benannt war. Ich fragte mich, warum er mir so viel Zeit gewidmet hatte. Es musste wohl daran gelegen haben, dass wir beide im Juli in langen Mänteln herumliefen, als La-Bohème -Brüderschaft.

    Ich brauchte jetzt wirklich dringend einen Job und weitete meine Suche auf Boutiquen und Kaufhäuser aus. Ich merkte allerdings schnell, dass ich für diese Art von Arbeit nicht passend gekleidet war. Noch nicht mal Capezio, ein Geschäft für klassische Ballettausstattung, wollte mich einstellen, obwohl ich einen schönen Beatnik-Ballerina-Look kultiviert hatte. Ich klapperte die Sixtieth Street und Lexington ab und bewarb mich als letzte Verzweiflungstat bei Alexander’s, wobei ich wusste, dass ich nie dort arbeiten würde. Dann machte ich mich zu Fuß auf nach Downtown, tief versunken

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