Just Kids
seiner Jobs als Umzugshelfer abgesagt worden waren. Er lag in seinem weißen T-Shirt, Jeans und Huarache-Sandalen auf dem Bett und sah beinahe so aus wie am Tag unserer ersten Begegnung. Aber als er die Augen aufschlug, um mich anzusehen, lächelte er nicht. Wir waren wie Fischer, die ihr Netz auswarfen. Das Netz war stabil, aber meist fingen wir nichts. Ich fand, wir müssten jetzt mal irgendwie einen Gang zulegen und jemanden finden, der in Robert investierte. Michelangelo hatte seinen Papst, und so jemanden brauchte Robert auch. Bei den zahllosen einflussreichen Menschen, die durch die Tür des Chelsea hereinschneiten, musste doch eines Tages ein geeigneter Mäzen für ihn auftauchen. Das Leben im Chelsea war ein offener Markt, jeder dort hatte irgendwas von sich zu verkaufen.
Fürs Erste einigten wir uns allerdings, uns darüber an einem anderen Abend Sorgen zu machen. Wir nahmen etwas von unserem Ersparten und schlenderten durch die Forty-second Street. Wir gingen in einen Passbildautomaten im Playland und ließen uns fotografieren, ein Streifen mit vier Bildern für einen Vierteldollar. Wir kauften uns bei Benedict’s einen Hotdog und einen Papaya-Drink und mischten uns dann unters Volk. Matrosen auf Landgang, Prostituierte, Ausreißer, geneppte Touristen und die obligatorischen UFO-Entführten. Es war eine urbane Promenade mit Kinos, Souvenirständen, kubanischen Diners, Stripper-Clubs und Leihhäusern, die bis spätabends geöffnet hatten. Für fünfzig Cent konnte man in ein verranztes Plüsch-Kino schlüpfen und sich ausländische Filme im Wechsel mit Softpornos ansehen.
Wir stürzten uns auf die Stände mit gebrauchten Paperbacks, abgegriffenen Pulp-Romanen und Pin-up-Magazinen. Robert war ständig auf der Suche nach neuem Material für Collagen, und ich nach obskuren UFO-Traktätchen oder Krimis mit grellen Covern. Ich staubte die Ace-Double-Novel -Ausgabe von Junkie ab,die William Burroughs unter dem Pseudonym William Lee veröffentlicht hatte. Ich habe sie noch heute. Robert fand in einer Mappe ein paar lose Blätter mit Bildern von blonden Jungs mit Bikermützen von Tom of Finland.
Für ein paar Dollar waren wir beide glücklich und zufrieden. Wir gingen Hand in Hand nach Hause. Einmal blieb ich ein Stück zurück, um seine Kehrseite zu bewundern, seinen Seemannsgang, der mich immer seltsam berührte. Ich wusste, eines Tages würde ich stehen bleiben und er weitergehen müssen, doch bis es so weit war, konnte nichts uns auseinanderreißen.
Am letzten Wochenende des Sommers fuhr ich meine Eltern besuchen. Guter Laune ging ich zum Port Authority und bestieg den Bus nach South Jersey. Ich freute mich darauf, meine Familie wiederzusehen und in den Antiquariaten in Mullica Hill zu stöbern. Wir waren alle Bücherliebhaber, und ich fand meistens etwas, das ich in der Stadt weiterverkaufen konnte. Diesmal entdeckte ich eine signierte Erstausgabe von William Faulkners Doctor Martino.
Die Stimmung bei meinen Eltern war untypisch düster. Mein Bruder war im Begriff, zur Navy eingezogen zu werden, und meine Mutter, obgleich zutiefst patriotisch, war mehr als beunruhigt, dass man ihn nach Vietnam schicken könnte. Mein Vater war äußerst verstört über das Massaker von My Lai. »Die Bereitschaft der Menschen, einander Böses zu tun«, zitierte er Robert Burns. Ich sah ihm zu, als er eine Trauerweide im Garten pflanzte. Sie erschien mir wie ein Symbol für seine Trauer darüber, was aus unserem Land geworden war.
Später sagte man, der Mord beim Stones-Konzert in Altamont im Dezember markiere das Ende des Idealismus der Sechzigerjahre. Für mich unterstreicht er die zwei Gesichter dieses Sommers 1969, Woodstock und die Manson-Sekte, unser Maskenball der Konfusion.
Robert und ich standen früh auf. Wir hatten Geld für den zweiten Jahrestag unseres Kennenlernens zur Seite gelegt. Ich hatte unsere Kleidung am Vorabend im Waschbecken gewaschen. Robert hatte die Sachen ausgewrungen, weil er die kräftigeren Hände hatte, und über das eiserne Kopfteil unseres Betts gehängt, das wir als Wäscheleine benutzten. Um sich dem Anlass entsprechend schick zu machen, hatte er ein Objekt demontiert, für das er zwei schwarze T-Shirts in einen Rahmen gespannt hatte. Ich hatte den Faulkner verkauft und konnte von dem Gewinn nicht nur eine Wochenmiete bezahlen, sondern Robert auch noch im JJ Hat Center auf der Fifth Avenue einen Filzhut, einen Borsalino, kaufen. Ich sah zu, wie Robert sich die Haare kämmte und vor dem
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