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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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Spiegel probierte, wie er ihn aufsetzen sollte. Er freute sich offensichtlich, denn er stolzierte mit seinem Jubiläums-Hut quer durchs Zimmer.
    Er packte das Buch, in dem ich gerade las, meinen Pullover, seine Zigaretten und eine Flasche Cream Soda in einen weißen Beutel. Er hatte nichts dagegen, ihn zu tragen, denn er sah damit aus wie ein echter Seemann. Wir stiegen in die Linie F und fuhren bis zur Endstation.
    Ich habe die Fahrt nach Coney Island immer geliebt. Allein der Gedanke, mit der U-Bahn raus ans Meer fahren zu können, war schon toll. Ich war in eine Crazy-Horse-Biografie vertieft, als ich plötzlich in die Gegenwart zurückkehrte und Robert ansah. Mit seinem Hut im Vierzigerjahre-Stil, dem schwarzen Netz-T-Shirt und den Huarache-Sandalen erinnerte er an eine Figur aus Am Abgrund des Lebens.
    Kaum waren wir an der Endstation, stopfte ich das Buch zurück in den Beutel und sprang auf, weil ich es gar nicht abwarten konnte. Robert nahm meine Hand.
    Nichts ist mir je wunderbarer erschienen als Coney Island in all seiner angeschmuddelten Unschuld. Es war ein Ort nach unserem Geschmack. Die verblassenden Fassaden, die abblätternden Reklamen vergangener Tage, Zuckerwatte und Kewpie-Puppen am Stock, in Federkostümen und glitzernden Zylindern. Wirerlebten den Schwanengesang der Abnormitätenshows. Ihr Glanz war längst matt geworden, auch wenn sie immer noch lärmend mit menschlichen Anomalien wie dem Jungen mit dem Eselsgesicht, dem Alligatormann oder dem dreibeinigen Mädchen warben. Robert fand die Welt der Freaks nach wie vor faszinierend, auch wenn er sie in seiner Kunst seit einiger Zeit durch Lederboys ersetzt hatte.
    Wir schlenderten über die Promenade und ließen uns von einem alten Mann mit einer Boxkamera fotografieren. Wir mussten eine Stunde warten, bis das Bild entwickelt war, deswegen gingen wir bis ans Ende des Anglerpiers, wo man an einer Bude Kaffee und heiße Schokolade bekam. Bilder von Jesus, Präsident Kennedy und unseren Astronauten klebten an der Wand hinter der Kasse. Das war einer meiner Lieblingsplätze, und ich träumte oft davon, dort einen Job anzunehmen und in einem der alten Mietshäuser gegenüber von Nathans Imbiss zu wohnen.
    Entlang des ganzen Piers fischten kleine Jungs mit ihren Großvätern nach Krabben. Dazu steckten sie rohes Hühnerfleisch als Köder in kleine Käfige, die sie an ein Seil gebunden ins Meer warfen. Der Landungssteg wurde in den Achtzigern von einem starken Sturm fortgerissen, aber Nathan’s, Roberts Lieblingsladen, blieb zum Glück erhalten. Normalerweise reichte unser Geld nur für einen Hotdog und eine Cola. Dann aß er den größeren Teil der Wurst und ich den größeren Teil vom Sauerkraut. Aber an diesem Tag hatten wir genug Geld, uns von allem zwei Portionen zu leisten. Wir spazierten über den Strand, um dem Ozean Hallo zu sagen, und ich sang Coney Island Baby von den Excellents. Robert schrieb unsere Namen in den Sand.
    An diesem Tag waren wir einfach nur wir selbst und sorgenfrei. Es war Glück für uns, dass dieser Augenblick mit einer Kamera festgehalten wurde. Eigentlich war es das erste Porträt von uns in New York. Das waren wir. Noch vor wenigen Wochen waren wir ganz am Boden gewesen, aber nun begann unser blauer Stern aufzugehen, wie Robert es ausdrückte. Wir setzten uns wieder in dieBahn, kehrten heim in unser kleines Zimmer, räumten unser Bett frei und waren glücklich, zusammen zu sein.
    Harry, Robert und ich saßen in einer Sitznische im El Quixote, teilten uns eine Vorspeise, Shrimps mit grüner Sauce, und sprachen über das Wort Magie. Robert benutzte es oft, wenn er über über unsere Arbeiten sprach, über ein gelungenes Gedicht oder eine gelungene Zeichnung, oder wenn er schließlich unter allen Kontaktabzügen das richtige Bild gefunden hatte. »Das hat Magie«, sagte er dann immer.
    Harry, der Roberts Interesse an Aleister Crowley noch schürte, behauptete, er, Harry, sei von diesem Hexenmeister gezeugt worden. Ich fragte ihn, ob sein Dad wohl erscheinen würde, wenn wir jetzt ein Pentagramm auf den Tisch malten. Peggy, die sich zu uns gesellt hatte, holte uns alle auf den Boden der Tatsachen zurück: »Könnte dann bitte irgendeiner von euch Schmalspurmagiern das Geld für die Rechnung herzaubern?«
    Ich weiß nicht genau, was Peggy eigentlich machte. Ich weiß, dass sie irgendeinen Job beim Museum of Modern Art hatte. Wir sagten im Spaß, sie und ich seien die Einzigen im ganzen Hotel, die einer geregelten Arbeit

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