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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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begann zu tanzen.Matthew wechselte die Platten wie ein umnachteter DJ. Mittendrin kam Robert rein. Er guckte Matthew an. Er guckte mich an. Er guckte den Plattenspieler an.
    Die Marvelettes liefen gerade. Ich fragte: »Worauf wartest du noch?«
    Sein Mantel fiel zu Boden. Auf uns warteten noch dreiunddreißig Singles.
    Die Adresse war legendär. In den Zwanzigern hatte sich dort das Film-Guild-Cinema befunden, in den Dreißigern ein wüster Country-Western-Club unter der Leitung von Rudy Vallée. Der große abstrakte Expressionist Hans Hoffman betrieb dort im dritten Stock während der Vierziger und Fünfziger eine kleine Kunstschule, an der Leute wie Jackson Pollock, Lee Krasner und Willem de Koonig studiert hatten. In den Sechzigern residierte dort der Generation Club, wo Jimi Hendrix gerne hinging, und als der Laden zumachte, übernahm er die Räumlichkeiten und richtete dort, tief im Inneren der Eighth Street 52, ein supermodernes Studio ein.
    Am 28. August fand die Eröffnungsparty statt. Die Pressearbeit wurde von Wartoke Concern gemanagt. Die Einladungen waren heiß begehrt, ich erhielt meine über Jane Friedman von Wartoke, die auch die Publicity für Woodstock gemacht hatte. Bruce Rudow hatte uns im Chelsea miteinander bekannt gemacht, und sie zeigte Interesse an meiner Arbeit.
    Ich freute mich auf den Abend. Ich setzte meinen Strohhut auf und ging zu Fuß nach Downtown, aber als ich ankam, konnte ich mich nicht überwinden reinzugehen. Zufällig kam Jimi Hendrix die Treppe rauf und sah mich da wie ein Provinzmauerblümchen rumsitzen. Er musste einen Flieger nach London erwischen, weil er beim Isle-of-Wight-Festival auftrat. Als ich ihm erklärte, ich sei zu feige reinzugehen, lachte er leise und meinte, dass er, anders als die Leute eventuell dachten, ziemlich schüchtern sei und Partys ihn nervös machten. Er blieb einen Moment bei mir auf der Treppe und erzählte mir, was er mit dem Studio allesvorhatte. Er träumte davon, Musiker aus der ganzen Welt zu versammeln. Dann würden sie alle ihre Instrumente mit nach Woodstock nehmen, sich auf einem Feld im Kreis hinsetzen und spielen und spielen. Tonart, Tempo, Melodie, alles egal – sie würden einfach dissonant weiterspielen, bis sie schließlich zu einer gemeinsamen Sprache fänden. Und diese neue universale Sprache würden sie dann in seinem neuen Studio aufnehmen.
    »Die Sprache des Friedens. Verstehst du?« Das tat ich.
    Ich weiß nicht mehr, ob ich an diesem Abend dann doch noch im Studio war, Jimi jedenfalls konnte seinen Traum nie verwirklichen. Im September flog ich mit meiner Schwester und Annie nach Paris. Sandy Daley kannte jemanden bei einer Fluggesellschaft und hatte uns billige Tickets besorgt. Paris hatte sich, genau wie ich, schon nach einem Jahr sehr verändert. Es schien, als würde die ganze Welt nach und nach ihre Unschuld verlieren.
    Als wir den Boulevard Montparnasse entlangschlenderten, sah ich plötzlich eine Schlagzeile, die mich in tiefe Trauer stürzte: Jimi Hendrix est mort. 27 ans. Ich verstand, was diese Worte bedeuteten.
    Jimi Hendrix würde nie nach Woodstock zurückkehren können, um eine universale Sprache zu erschaffen. Er würde nie wieder bei Electric-Lady Platten aufnehmen. Ich spürte, dass wir alle einen Freund verloren hatten. Ich sah seinen Rücken vor mir, seine bestickte Weste und seine langen Beine, als er damals die Stufen hochstieg und zum letzten Mal hinaus in die Welt ging.
    Steve Paul schickte einen Wagen, der Robert und mich zum Konzert von Johnny Winter am 3. Oktober im Fillmore East abholte. Johnny war für ein paar Tage im Chelsea abgestiegen. Nach dem Konzert trafen wir uns alle in seinem Zimmer. Er hatte bei der Trauerfeier für Jimi Hendrix gespielt, und wir betrauerten den Verlust unseres Gitarrenpoeten; es war tröstlich, gemeinsam über ihn zu sprechen.
    Aber als wir uns am nächsten Abend wieder in Johnnys Zimmer trafen, mussten wir einander schon wieder trösten. Ich schrieb nur zwei Worte in mein Tagebuch: Janis Joplin. Sie war imZimmer 105 des Landmark Hotels in Los Angeles an einer Überdosis gestorben, mit siebenundzwanzig Jahren.
    Johnny fiel in ein tiefes Loch. Brian Jones. Jimi Hendrix. Janis Joplin. Aus einer Mischung von Angst und Trauer heraus sprach er von einem J-Club. Er war äußerst abergläubisch und hatte Angst, dass er der Nächste sein würde. Robert versuchte ihn zu beruhigen, doch zu mir sagte er: »Ich kann es ihm nicht verdenken, es ist schon irgendwie unheimlich.« Er

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