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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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sprach mich an. Ich dachte, so wie die aussieht, will sie bestimmt außer mir niemand haben.
    »Bist du sicher, dass das die richtige ist, Patti Lee?«, fragte Sam.
    »Die oder keine«, antwortete ich.
    Sam bezahlte zweihundert Dollar für die Gitarre. Ich dachte, der Ladeninhaber würde sich freuen, aber er lief uns bis auf die Straße nach und rief: »Falls du die irgendwann nicht mehr haben willst, kauf ich sie zurück.«
    Es war eine wunderbare Geste von Sam, mir diese Gitarre zu schenken. Das erinnerte mich an einen Film, den ich früher gesehen hatte, Beau Geste, in dem Gary Cooper einen Fremdenlegionär spielt, der seinen eigenen Ruf aufs Spiel setzt, um die Frau zu schützen, die ihn großgezogen hat. Ich gab der Gitarre den Namen Bo, eine Kurzform von Beau. Dadurch sollte sie mich an Sam erinnern, der sich in Wahrheit selbst in diese Gitarre verliebt hatte.
    Bo, die ich immer noch besitze und in Ehren halte, wurde meine treue Gitarre. Auf ihr habe ich den größten Teil meiner Songs komponiert. Der allererste war für Sam, ein Gruß, bevor er mich verließ. Unser Gewissen drängte sich immer öfter in unsere Arbeit und unser Leben. Sam und ich waren uns so nah wie immer, aber es wurde Zeit für ihn zu gehen, und wir wussten es beide.
    Eines Abends saßen wir schweigend da und dachten doch an das Gleiche. Da sprang er auf und holte seine Schreibmaschine ins Bett. »Lass uns ein Theaterstück schreiben«, sagte er.
    »Ich habe überhaupt keine Ahnung, wie man Stücke schreibt«, meinte ich.
    »Das ist ganz einfach«, sagte er. »Ich mache den Anfang.« Er beschrieb mein Zimmer in der Twenty-third Street – die Autokennzeichen, die Hank-Williams-Platten, das Spielzeuglamm, das Bett auf dem Fußboden – und führte dann seine eigene Figur ein, Slim Shadow.
    Dann schob er die Schreibmaschine zu mir rüber und sagte: »Jetzt du, Patti Lee.«
    Ich taufte meinen Charakter Cavale. Den Namen hatte ich von einer französischen Autorin namens Albertine Sarrazin, wie Genet ein frühreifes Waisenkind, das sich traumwandlerisch zwischen Literatur und Verbrechen bewegte. Mein Lieblingsbuch von ihr hieß La Cavale, die Flucht.
    Sam hatte recht. Es war überhaupt nicht schwer, ein Theaterstück zu verfassen. Wir erzählten uns einfach Geschichten. Die Akteure, das waren wir selbst, und wir verschlüsselten einfach unsere Liebe, unsere Vorstellungen und Fehltritte für Cowboy Mouth. Vielleicht war es weniger ein Spiel als ein Ritual. Wir vollzogen rituell das Ende unseres Abenteuers und bahnten Sam einen Weg hinaus.
    Cavale ist die Kriminelle in dieser Geschichte. Sie kidnappt Slim und hält ihn in ihrem Unterschlupf gefangen. Die beiden lieben und streiten sich und erschaffen eine ganz eigene Sprache, improvisierte Dichtung. Als wir an die Stelle kamen, wo wir in dieser Poesiesprache improvisieren mussten, bekam ich kalte Füße. »Das kann ich nicht«, sagte ich. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«
    »Sag irgendwas«, meinte er. »Man kann keine Fehler machen, wenn man improvisiert.«
    »Was, wenn ich es verhaue? Wenn ich den Rhythmus kaputt mache?«
    »Das geht gar nicht«, erwiderte er. »Das ist wie Schlagzeugspielen. Wenn man den einen Beat auslässt, erzeugt man einen neuen.«
    In diesem simplen Wortwechsel lehrte Sam mich das Geheimnis der Improvisation, vom dem ich mein ganzes Leben lang gezehrt habe.
    Cowboy Mouth hatte Ende April im American Place Theatre in der West Forty-sixth Street Premiere. In dem Stück versucht Cavale, Slim nach ihrem Bild eines Rock’n’Roll-Erlösers neu zu formen. Slim, zuerst von dieser Idee berauscht und von Cavale bezaubert, muss ihr jedoch zuletzt erklären, dass er ihren Traumnicht wahrmachen kann. Slim Shadow kehrt heim in seine eigene Welt, zu seiner Familie und seinen Verpflichtungen und lässt Cavale allein, gibt ihr die Freiheit.
    Sam war aufgeregt, denn das Stück war gut, aber in der Realität war es sehr belastend für ihn, sich auf der Bühne so preiszugeben. Die Proben unter der Regie von Robert Glaudini waren holprig und turbulent, aber auch von keinem Publikum beeinträchtigt. Die erste Probeaufführung fand vor Schulkindern statt und war befreiend, denn die Kinder lachten und johlten und feuerten uns an. Man hatte das Gefühl, als würden sie mitspielen. Aber bei der offiziellen Voraufführung war es, als wäre Sam gerade erst aufgewacht und sich bewusst geworden, dass er echte Menschen mit seinen echten Problemen konfrontieren würde.
    Am dritten Abend

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