Just Kids
zu ihren Leuten. Ich verpisste mich bei der ersten Gelegenheit mit Sam, und wir genehmigten uns ein paar Tequilas und Hummer.
Ich hatte meinen Abend gehabt, und er war aufregend gewesen,aber ich hielt es für besser, ihn erst mal hinter mir zu lassen und zu vergessen. Ich wusste nicht, wie ich mit dieser Erfahrung umgehen sollte. Obwohl ich Roberts Gefühle verletzt hatte, war er doch unverkennbar stolz auf mich. Ich musste jetzt erst mal verarbeiten, dass ich offenbar noch eine ganz andere Seite hatte. Ich war nicht ganz sicher, ob und was sie mit Kunst zu tun hatte.
Nach meiner Lesung wurde ich jedenfalls mit Angeboten bombardiert. Das Creem -Magazine wollte eine Reihe meiner Gedichte veröffentlichen; Lesungen in Philadelphia und London wurden mir angeboten; ein kleiner Gedichtband für Middle Earth Books; und es winkte ein möglicher Plattenvertrag mit Steve Pauls Blue Sky Records. Zuerst war das natürlich schmeichelhaft, doch dann war es mir irgendwie peinlich. Die Reaktion war noch extremer als die auf meinen Haarschnitt damals.
Für mich kam das alles zu früh. Robert war nichts einfach so zugefallen. Oder den Dichtern, die ich zum Vorbild genommen hatte. Ich beschloss, fürs Erste zu verzichten. Ich schlug den Plattenvertrag aus, hörte aber bei Scribner auf, um bei Steve Paul als Mädchen für alles zu arbeiten. Ich hatte dort mehr Freiheiten und verdiente auch ein bisschen mehr, aber Steve wollte es einfach nicht in den Kopf, wieso ich lieber für ihn kochte und seine Vogelkäfige sauber machte, als eine LP für ihn aufzunehmen. Ich sah zwar meine Berufung auch nicht darin, Käfige zu reinigen, aber ich wusste, dass es nicht richtig gewesen wäre, den Vertrag anzunehmen.
Ich konnte nicht vergessen, was ich in dem Buch Feuerross: Die abenteuerliche Lebensgeschichte des Indianerhäuptlings Crazy Horse von Mari Sandoz gelesen hatte. Crazy Horse glaubt, dass er im Kampf siegreich bleiben wird, doch sobald er innehält, um auf dem Schlachtfeld Beute an sich zu nehmen, ist er verloren. Er tätowiert Blitze auf die Ohren seiner Pferde, um beim Reiten immer daran erinnert zu werden. Ich versuchte, diese Lektion auf meine Situation zu übertragen, und achtete darauf, mir nichts anzueignen, das mir nicht wirklich zustand.
Ich fand, so eine Tätowierung wäre auch etwas für mich. Ich saß in der Lobby und zeichnete gerade Blitze in verschiedenen Formen in mein Notizbuch, als eine seltsame Frau hereinkam. Sie hatte wildes rotes Haar, auf ihrer Schulter saß ein lebendiger Fuchs, und ihr Gesicht war mit zierlichen Tätowierungen geschmückt. Als ich mir die Tätowierungen wegdachte, erkannte ich das Gesicht von Vali – dem Mädchen auf dem Titel von Liebe in Saint Germain-des-Prés. Ihr Bild hatte schon sehr lange einen Platz an meiner Wand.
Ich fragte sie unumwunden, ob sie mir mein Knie tätowieren würde. Sie guckte mich erstaunt an und nickte dann, ohne ein Wort zu sagen. Im Laufe der nächsten Tage vereinbarten wir, dass sie mein Knie in Sandy Daleys Zimmer tätowieren sollte, während Sandy alles filmte, wie sie es auch bei Roberts Brustwarzen-Piercing gemacht hatte; das sollte also jetzt mein Initiationsritual sein.
Ich wollte eigentlich allein hingehen, aber Sam wollte dabei sein. Valis Technik war primitiv: eine große Nähnadel, die sie sich in den Mund steckte, eine Kerze und ein Behälter mit indigoblauer Tusche. Ich war entschlossen, das Ganze stoisch zu ertragen, und saß unbewegt da, während sie mir den Blitz ins Knie stach. Als es vorbei war, bat Sam sie, seine linke Hand zu tätowieren. Sie piekste so lange in die Haut zwischen seinem Daumen und Zeigefinger, bis nach und nach ein Halbmond erkennbar wurde.
Eines Morgens fragte Sam mich, wo meine Gitarre abgeblieben wäre, und ich erzählte ihm, dass ich sie meiner jüngeren Schwester Kimberly geschenkt hatte. Am Nachmittag desselben Tages ging er mit mir zu einem Gitarrenladen im Village. Akustische Gitarren hingen an den Wänden wie in einem Leihhaus, nur verspürte der missmutige Ladeninhaber hier anscheinend keinerlei Neigung, sich auch nur von einer einzigen zu trennen. Sam sagte, ich solle mir eine aussuchen. Wir sahen uns jede Menge Martins an, darunter auch einige sehr hübsche mit Perlmutteinlagen, doch richtig ins Auge stach mir eine mitgenommene schwarze Gibson, ein 1931er Depressions-Modell. Der Boden hatte schon mal einen Rissgehabt und war repariert worden, die Zahnräder der Stimmwirbel waren verrostet. Aber irgendetwas an ihr
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