Just Kids
Herumtreiber.
»Jackson Pollock hätte dir auch nicht gepasst«, konterte ich. Robert zuckte bloß die Achseln.
Ich schrieb an einem Gedicht für Sam, eine Hommage an sein Faible für Stock Cars. Das Gedicht hieß Ballad of a Bad Boy. Ich zog es aus der Schreibmaschine, lief im Zimmer auf und ab und las es laut. Es klang gut. Es hatte die Energie und den Rhythmus, den ich haben wollte. Ich klopfte an Roberts Tür. »Willst du mal was hören?«, fragte ich.
Obwohl wir uns während dieser Zeit ein wenig entfremdet hatten, weil Robert mehr bei David und ich mehr bei Sam war, hatten wir immer noch eins gemeinsam: unsere Arbeit. Wieversprochen, setzte Robert alles daran, mir eine Lesung zu organisieren. Er hatte meinetwegen Gerard Malanga angesprochen, der im Februar in der St. Mark’s Church lesen sollte. Gerard war großzügigerweise einverstanden, mich ins Vorprogramm zu nehmen.
Um ein Forum wie das Poetry Project unter der Leitung von Anne Waldman rissen sich selbst arrivierteste Dichter. Robert Creeley, Allen Ginsberg, Ted Berrigan – alle hatten dort schon gelesen. Wenn ich mit meinen Gedichten auftreten wollte, dann dort. Ich wollte mich nicht nur behaupten oder einen guten ersten Eindruck machen. Ich wollte St. Mark’s zu einem Markstein machen. Ich tat es für die Dichtung. Ich tat es für Rimbaud, und ich tat es für Gregory. Ich wollte das geschriebene Wort mit der Unmittelbarkeit des Rock’n’Roll aufladen – ein Frontalangriff.
Todd riet mir, aggressiv aufzutreten, und lieh mir ein paar schwarze Schlangenlederstiefel. Sam schlug vor, Musik mit dazuzunehmen. Ich dachte an die vielen Musiker, die es irgendwann ins Chelsea geweht hatte, aber dann fiel mir ein, dass Lenny Kaye erzählt hatte, er spiele E-Gitarre. Ich ging ihn besuchen.
»Du spielst doch Gitarre, oder?«
»Ja, mach ich ganz gern.«
»Hm, könntest du einen Autounfall auf der Gitarre spielen?«
»Ja, kann ich«, sagte er ohne zu zögern und war einverstanden, mich zu begleiten. Er kam mit seiner Melody Maker und seinem kleinen Fender-Verstärker in die Twenty-third Street und fiel mit ein, während ich meine Gedichte vorlas.
Die Lesung war für den 10. Februar 1971 angesetzt. Judy Linn machte für den Flyer ein Foto von Gerard und mir grinsend vor dem Chelsea. Ich prüfte, ob es eventuell glückliche Vorzeichen für den Termin gab. Vollmond. Bertolt Brechts Geburtstag. Konnte beides nur gut sein. Aus Hochachtung für Bertolt Brecht beschloss ich, zum Auftakt der Lesung Mackie Messer zu singen. Lenny spielte dazu.
Es war die Nacht der Nächte. Gerard Malanga war ein charismatischer Performer und zog die Crème de la Crème derWarhol-Szene an: von Lou Reed über Rene Ricard und Brigid Berlin bis zu Andy selbst. Lennys Leute kamen, um ihn anzufeuern: Lillian Roxon, Richard und Lisa Robinson, Richard Meltzer, Roni Hoffman, Sandy Pearlman. Zur Fraktion aus dem Chelsea gehörten Peggy, Harry, Matthew und Sandy Daley. Dichter und Dichterinnen wie John Giorno, Joe Brainard, Annie Powell und Bernadette Mayer. Todd Rundgren brachte Miss Christine von den GTOs mit. Gregory rutschte unruhig auf seinem Sitz am Mittelgang herum und wartete gespannt, was ich zu bieten hatte. Sam hing über dem Geländer der Empore und spornte mich an. Die Atmosphäre war spannungsgeladen.
Die Dichterin Anne Waldman kündigte uns an. Ich war wie unter Strom. Ich widmete den Abend den Kriminellen von Kain bis Genet. Ich hatte Gedichte wie Oath gewählt, das mit Christ died for somebody’s sins / But not mine begann, und ging dann langsam zu Fire of Unknown Origin über. Ich las The Devil Has a Hangnail für Robert und Cry Me a River für Annie. Picture Hanging Blues, aus der Perspektive von Jesse James’ Freundin geschrieben, war mit seinem Refrain von allem, was ich bis dahin geschrieben hatte, am ehesten schon ein Song.
Wir schlossen mit Ballad for a Bad Boy, begleitet von Lennys krachenden Akkorden und Feedback-Heulen. Es war das erste Mal, dass in der St. Mark’s Church eine E-Gitarre gespielt wurde, und die Reaktionen des Publikums waren gemischt. Sie war ein Tempel der Dichtkunst, geheiligter Boden, und einigen passte es nicht, aber Gregory strahlte.
Es gab Momente frenetischen Beifalls. Ich musste für die Performance alles aufbieten, was ich an unterschwelliger Arroganz in mir hatte. Aber dann stand ich so unter Adrenalin, dass ich mich viel zu großkotzig aufführte. Ich bedankte mich weder bei Robert noch bei Gerard. Und ich gesellte mich auch nicht
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