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Just Kids

Titel: Just Kids Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patti Smith
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um anders zu sein«, sagte ich. »Du bist schon anders. Künstler sind eine Spezies für sich.«
    Er umarmte mich. Das Codpiece drückte sich gegen mich.
    »Robert«, quiekte ich, »du bist ja so ein böser Mensch!«
    »Sag ich doch«, erwiderte er augenzwinkernd.
    Er ging aus dem Haus, und ich rüber auf meine Seite. Aus meinem Fenster sah ich, wie er am YMCA vorbeihastete. Der Künstler und Hustler blieb immer auch der brave Sohn und Messdiener.
    Ich war überzeugt, er würde sich wieder der Gewissheit zuwenden, dass es das reine Böse oder das reine Gute nicht gab – es gab nur das Reine.
    Da Robert es sich finanziell nicht leisten konnte, sich ganz auf ein Kunstmedium zu konzentrieren, blieb er dabei, mit allem zu arbeiten, was sich ergab. Er drehte Filme, wenn er das nötige Geld aufbrachte, er machte Halsbänder, wenn er die notwendigen Teile parat hatte, und schuf Objekte aus gefundenen Materialien. Aber es bestand kein Zweifel, dass es ihn zur Fotografie zog.
    Ich war Roberts erstes Modell, sein zweites war er selbst. Er begann damit, dass er mich zusammen mit meinen Lieblingsdingen oder seinen rituellen Objekten fotografierte, und ging dann allmählich über zu Akt und Porträt. Irgendwann wurde ich bei einigen Aufgaben von David abgelöst, der die perfekte Muse für Robert war. David war fotogen und gelenkig, außerdem war er offen für Roberts ungewöhnliche Szenarien, zum Beispiel in liegender Pose, nur mit Socken bekleidet, nackt in schwarzen Netzstoff gewickelt, oder mit einer Krawatte geknebelt.
    Er benutzte immer noch Sandy Daleys 360-Land-Polaroid-Kamera. Die Einstellungsmöglichkeiten waren begrenzt, aber die Bedienung war einfach, und er brauchte keinen Belichtungsmesser. Mit einem wachsartigen rosa Überzug ließen sich die Bilder konservieren. Wenn er die Beschichtung vergaß, begannen sie allmählich zu verblassen. Er verwertete das komplette Polaroidpack, die Kassette, die er zu Rahmen umfunktionierte, die Aufreißlasche, manchmal auch ein scheinbar misslungenes Bild, indem er es mit Emulsion bearbeitete.
    Weil das Material so teuer war, musste jede Aufnahme sitzen. Er hasste es, Fehler zu machen oder Film zu verschwenden, dadurch entwickelte er ein schnelles Auge und eine zügige Arbeitsweise. Er arbeitete präzise und ökonomisch, anfangs aus Notwendigkeit, später aus Gewohnheit. Es freute mich, seine raschen Fortschritte zu beobachten, weil ich mit daran beteiligt war. Unser Credo als Künstler und Modell war einfach: Ich vertraue dir, ich vertraue mir selbst.

    Es trat jemand Neues in Roberts Leben, der sehr wichtig für ihn werden sollte. David machte Robert mit dem Kurator für Fotografie am Metropolitan Museum of Art bekannt. John McKendry war der Ehemann von Maxime de la Falaise, einer tonangebenden Figur in New Yorks High Society. John und Maxime verschafften Robert Eintritt in eine Welt, wie er sie sich glamouröser nicht wünschen konnte. Maxime war eine hervorragende Köchin und lud gerne zu aufwendigen Dinnerpartys ein, bei denen sie ungewöhnliche Gerichte servierte, deren Rezepte sie ihrer Kenntnis jahrhundertealter englischer Kochkunst verdankte. Und zu jedem dieser erlesenen Gänge gab es eine geistreiche und mindestens ebenso pikante Einlassung vonseiten der illustren Gäste. Typischerweise versammelten sich an ihrem Tisch: Bianca Jagger, Marisa und Berry Berenson, Tony Perkins, George Plimpton, Henry Geldzahler, Diane und Prinz Egon von Fürstenberg.
    Robert wollte mich ebenfalls in diese Gesellschaftsschicht einführen: faszinierende und kultivierte Menschen, mit denen ich mich doch einfach verstehen musste und die uns, so erhoffte er sich, vielleicht behilflich sein konnten. Wie immer ergaben sich daraus äußerst komische Konflikte zwischen uns beiden. Meine Garderobe ließ zu wünschen übrig, ich war in ihrer Gesellschaft entweder befangen oder angeödet, und ich trieb mich lieber in der Küche herum, als mir am Tisch Klatschgeschichten anzuhören. Maxime bewies zwar Geduld mit mir, aber nur John schien wirklich nachvollziehen zu können, dass und warum ich mich als nicht dazugehörig fühlte. Vielleicht fühlte er sich in dieser Gesellschaft ebenfalls fremd. Ich mochte ihn sehr, und er tat alles, damit ich mich wohlfühlte. Wir saßen dann zusammen auf ihrer napoleonischen Chaiselongue, und er las mir Passagen aus Rimbauds Illuminationen auf Französisch vor.
    Dank seiner herausragenden Stellung am Met hatte John Zugang zu den Kellern, in denen die komplette

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