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Just Listen - Roman

Just Listen - Roman

Titel: Just Listen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Dessen
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Visitenkarte der Juristin gegeben, Clarke nach so langer Zeit wieder von sich aus mit mir geredet hatte. Das Haus war voll und voller Leben. Meine Eltern waren entspannt wie seit Monaten nicht mehr, meine Schwestern sprachen nicht nur miteinander, sondern vertrugen sich sogar. Die ungewohnte, unerwartete Harmonie führte dazu, dass ich mir umso seltsamer vorkam, irgendwie ausgeschlossen und erst recht neben der Spur, so ganz generell.
    Auf der Fahrt vom
Jump Java
zu uns nach Hause hatte Kirsten Whitney von ihrem Kurzfilm erzählt. Dass es dabei um dasselbe Thema gehe wie in ihrem Text. Whitney wollte den Film natürlich sehen. Deshalb hatte Kirsten heute vor dem Abendessen ihren Laptop ausgepackt und auf dem Couchtisch aufgebaut. Wir versammelten uns um ihn herum, um den Film anzuschauen.
    Meine Eltern saßen auf der Couch, Whitney hockte sich neben sie auf die Armlehne. Kirsten hielt sich an der Seite, forderte mich mit einer Handbewegung auf, näher ranzurutschen. Ich schüttelte den Kopf, zog mich sogar eher noch etwas zurück. »Ich habe deinen Film schon gesehen«, sagte ich. »Setz du dich mal zu den anderen.«
    »Aber ich kenne meinen Film in- und auswendig«, meinte sie, setzte sich aber trotzdem auf den Platz, den sie mir zugedacht hatte.
    »Ich bin richtig aufgeregt.« Meine Mutter blickte begeistert von einem zum anderen. Mir war nicht ganz klar, worauf sie sich bezog. War sie aufgeregt, weil wir hier so traut beieinandersaßen? Oder wegen Kirstens Film?
    Kirsten atmete tief durch, streckte die Hand aus, drückte auf eine Taste. »Okay, Film ab.«
    Die erste Einstellung: das grüne, grüne Gras. Ich versuchte, mich auf die Bilder zu konzentrieren, ertappte mich allerdings dabei, wie ich allmählich dazu überging, meine Familie zu beobachten. Mein Vater blickte ernst auf den Monitor; die Hände meiner Mutter, die neben ihm saß, lagen zusammengefaltet auf ihrem Schoß. Whitney, auf der anderen Seite meines Vaters, hatte ein Knie an die Brust gezogen; Licht flackerte über ihr Gesicht, während der Film lief.
    »Ist das nicht ein bisschen so wie in dem Text, den du uns vor einiger Zeit zu lesen gegeben hast, Whitney?«, fragte meine Mutter, als die beiden Mädchen die Straße entlang radelten.
    »Stimmt«, antwortete Kirsten leise. »Irre, was? Das haben wir gestern Abend auch schon festgestellt.«
    Whitney sagte gar nichts. Ihr Blick ruhte unverwandt auf dem Monitor. Wir waren gerade an der Stelle, an derdas jüngere Mädchen im Hintergrund neben ihrem Rad lag, bei dem sich die Speichen drehten. Jetzt folgten die düsteren, fast unheimlichen Impressionen vom Rückweg: der Hund, der losstürzt und bellt; der stolpernde Mann mit der Zeitung. Als der Film schließlich mit der letzten, langen Einstellung auf dem Grün endete, waren wir alle einen Moment lang mucksmäuschenstill.
    »Kirsten, das war einmalig!«, sagte meine Mutter schließlich.
    »Na ja, einmalig finde ich leicht übertrieben.« Kirsten strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Doch sie wirkte ziemlich zufrieden. »Immerhin ist es ein Anfang.«
    »Wer hätte gedacht, dass du so ein gutes Auge hast.« Mein Vater beugte sich vor, tätschelte liebevoll Kirstens Knie. »Da hat sich die viele Fernsehguckerei ja doch noch ausgezahlt.«
    Kirsten lächelte ihn zwar an, aber ihr Hauptinteresse galt in diesem Moment ganz klar Whitney, die nach wie vor schwieg. »Und? Was meinst du?«
    »Mir hat’s gefallen«, antwortete Whitney. »Obwohl ich mich überhaupt nicht daran erinnere, dass du so weit vorgefahren bist.«
    »Und ich wusste partout nicht mehr, dass du umgedreht und in die Gegenrichtung gefahren bist«, antwortete Kirsten. »Echt schräg.«
    Whitney nickte stumm. Meine Mutter seufzte: »Mir war gar nicht klar, dass dieser Tag für euch beide so eine besondere Bedeutung gehabt hat.«
    »Wie bitte? Du weißt nicht mehr, dass Whitney sich den Arm gebrochen hat?«, fragte Kirsten.
    »Eure Mutter hat ein selektives Gedächtnis«, frotzelte mein Vater. »Ich dagegen habe eine ausgeprägte Erinnerungan das kollektive Trauma, das durch dieses Ereignis ausgelöst wurde.«
    »Natürlich weiß ich das noch«, sagte meine Mutter. »Ich hatte nur keine Ahnung, dass   … dass es bei euch beiden so stark nachgewirkt hat.« Sie wandte sich zu mir um. »Und du, Annabel? An was erinnerst du dich?«
    »Dass du an dem Tag neun Jahre alt wurdest, oder?«, sagte mein Vater.
    Ich nickte, weil mich alle ansahen. In Wahrheit jedoch war ich mir gar nicht sicher, an was

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