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Just Listen - Roman

Just Listen - Roman

Titel: Just Listen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Dessen
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für eine Schönheit sich unter ihnen befand.
    »Ich werde einen kurzen Text vorlesen.« Ihre Stimme blieb ihr fast im Hals stecken; sie trat näher ans Mikrofon. »Einen kurzen Text«, wiederholte sie, »über meine Schwestern.«
    Vor lauter Überraschung musste ich blinzeln. Warf einen Blick zu Kirsten hinüber. Wollte etwas sagen, ließ es aber, weil ich mir nicht schon wieder ein »Psst« einfangen wollte.
    Whitney schluckte, blickte auf ihre Blätter, deren Ränderkaum wahrnehmbar zitterten. Sie sah aus, als hätte sie Angst. Und plötzlich erschien es im Raum viel zu still. Doch dann fing sie an zu lesen.
    »Ich bin die mittlere Schwester. Die dazwischen. Nicht die Älteste, nicht die Jüngste, nicht die Mutigste, nicht die Netteste. Ich bin der Grauton, das halb volle oder halb leere Glas, je nachdem, wie man es betrachtet. Es gab wenige Dinge in meinem Leben, die ich zuerst oder besser gemacht habe als diejenige vor oder nach mir. Doch ich bin von uns allen die Einzige, die zusammengebrochen ist.«
    Ich hörte das Klingeln der Türglocke, drehte mich auf meinem Stuhl um. Eine etwas ältere Frau mit langen, lockigen Haaren betrat das Lokal. Als sie Whitney am Mikrofon stehen sah, lächelte sie, stellte sich hinten hin und begann, ihren Schal vom Hals zu wickeln.
    »Es geschah an dem Tag, an dem meine jüngere Schwester ihren neunten Geburtstag feierte. Ich hatte schon den ganzen Tag im Haus rumgehangen und geschmollt und gedacht, entweder kümmert sich niemand um mich oder alle wollen was von mir. Das war nichts Neues oder gar Besonderes, denn im Grunde war meine Festplatte schon im zarten Alter von elf Jahren so konfiguriert.«
    Kirsten machte ganz große Augen, als ein Mann an einem der Nebentische amüsiert auflachte. Auch von anderen im Publikum war leises Gelächter zu hören. Whitney wurde rot und   – lächelte ebenfalls. »Meine ältere Schwester   – die Gesellschaftsnudel der Familie   – wollte mit ihrem Rad zum Schwimmbad fahren, um sich mit ein paar Freunden zu treffen. Sie fragte mich, ob ich mitkommen wolle. Ich wollte nicht. Ich wollte mit niemandem zusammen sein. Meine ältere Schwester war die Liebenswürdige,meine jüngere die Süße, ich die Dunkelheit. Niemand verstand meinen Schmerz. Nicht einmal ich selbst.«
    Erneutes Gelächter, diesmal von jemanden, der auf der anderen Seite des Raumes saß. Whitney lächelte auch wieder. Meine mittlere Schwester konnte also witzig sein. Wer hätte das gedacht?
    »Meine ältere Schwester stieg auf ihr Rad und fuhr Richtung Schwimmbad. Ich fuhr hinter ihr her. Ich fuhr immer hinterher, und als wir da auf unseren Rädern saßen, ärgerte ich mich plötzlich maßlos darüber. Ich hatte die Nase voll davon, immer nur die Zweite zu sein.«
    Wieder blickte ich zu Kirsten hinüber. Sie beobachtete Whitney so konzentriert, als wäre außer ihnen beiden niemand im Raum. »Deshalb drehte ich um. Plötzlich war die Straße vor mir leer, eine ganz neue Sicht auf die Welt. Alles gehörte mir, war nur für mich da. Ich trat, so schnell ich konnte, in die Pedale.«
    Heathers Löffel klimperte im Becher, als sie sich ein weiteres Päckchen Zucker in den Kaffee schüttete. Ich saß still und unbeweglich da.
    »Es war toll. Das ist Freiheit immer, auch die, die man sich nur einbildet. Aber während ich weiterfuhr, bis das, was vor mir lag, mir fremd wurde, unbekanntes Terrain, wurde ich mir plötzlich auch der Entfernung bewusst, die ich bereits zurückgelegt hatte. Ich fuhr immer noch volles Tempo, weg von zu Hause, als mein Vorderrad plötzlich umknickte. Und ich flog.«
    Kirsten neben mir rutschte auf ihrem Stuhl herum. Ich rückte mit meinem näher an sie heran.
    »Ein echt krasses Gefühl, plötzlich durch die Luft befördert zu werden. Du bist noch dabei, es überhaupt zu begreifen, und da ist es auch schon wieder vorbei. Du fällst. Alsich auf dem Asphalt aufschlug, hörte ich, wie der Knochen in meinem Arm brach. Und in den folgenden Sekunden, wie sich mein Vorderrad in der Luft weiterdrehte. Die Speichen knackten. Doch alles, was mir durch den Kopf ging, war das, was mir immer durch den Kopf ging. Was ich immer dachte, sogar in jenem Augenblick: Das ist nicht fair. Für einen Moment zu schmecken, wie Freiheit schmeckt, aber sofort dafür bestraft zu werden.«
    Ich wandte mich um, blickte zu der Frau hinten neben der Eingangstür. Sie ließ Whitney nicht aus den Augen.
    »Mir tat alles weh. Ich schloss die Augen, presste meine Wange auf die Straße und

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