Just Listen - Roman
meinte meine Mutter. »Und damit fangen wir am besten sofort an. Mach dich ein bisschen frisch. Gleich gibt es Abendessen.«
»Ich habe gar keinen Hunger«, erwiderte Whitney. »Ich habe etwas gegessen, während ich auf den Flieger wartete.«
»Tatsächlich?« Die Stimme meiner Mutter klang sichtlich verletzt. Sie hatte den ganzen Tag in der Küche gestanden. »Aber ein bisschen Gemüsesuppe kannst du trotzdem essen oder nicht? Ich koche sie extra für dich. Da ist alles drin, was du jetzt brauchst, um dein Immunsystem wieder auf Trab zu bringen.«
»Ich möchte eigentlich wirklich lieber schlafen. Ich bin todmüde.«
Meine Mutter suchte den Blick meines Vaters, der Whitney unverwandt ernst betrachtete. »Na gut«, sagte sie schließlich. »Dann ist es wohl besser, wenn du dich erst einmal etwas hinlegst. Du kannst ja nach deinem Nickerchen noch etwas essen, einverstanden?«
Aber Whitney aß nichts. Weder in dieser Nacht, in der sie wie eine Tote durchschlief und selbst dann kein Lebenszeichen von sich gab, wenn meine Mutter – was sie mehrmals tat – mit einem Tablett in den Händen in ihr Zimmer lugte. Noch am folgenden Morgen; da stand sie bei Anbruch der Dämmerung auf und behauptete, bereits gefrühstückt zu haben, als mein Vater – der von uns allen immer am ehesten auf den Beinen war – gerade die Treppe herunterkam, um sich seinen Kaffee zu machen. Pünktlich zum Mittagessen war Whitney schon wieder müde. Doch schließlich, beim Abendessen, bestand meine Mutter darauf, dass sie sich mit uns an den Tisch setzte.
Es begann, als mein Vater anfing, das Essen zu servieren. Whitney saß neben mir. Schon als er das Roastbeef tranchierte und die Scheiben auf eine Platte legte, bekam ich hautnah mit, wie schwer es ihr fiel, ruhig sitzen zu bleiben. Ständig zupfte sie nervös an den Bündchen ihres sackartigen Sweatshirts herum. Schlug die Beine übereinander, streckte sie wieder aus, nippte an ihrem Wasserglas, zupfte an ihren Kleidern herum. Ich fühlte förmlich, unter welchem Druck sie stand. Als wäre er etwas, das man anfassen konnte. Und als mein Vater schließlich einen Teller vor Whitney stellte – bis zum Rand mit Fleisch, Kartoffeln, grünen Bohnen und einer dicken Scheibe des berühmten, selbst gemachten Knoblauchbrots meiner Mutter gefüllt –, war es aus mit ihrer Beherrschung.
»Ich habe gar keinen richtigen Hunger.« Hastig schob sie den Teller von sich. »Überhaupt kein bisschen.«
»Whitney, iss, bitte«, entgegnete mein Vater.
»Ich mag aber nicht!«
Meine Mutter saß ihr genau gegenüber und sah in diesem Moment so verletzt aus, dass ich es kaum ertragenkonnte. »Das war Kirstens Idee, nicht wahr? Sie hat euch gesagt, ihr sollt diese Show mit mir abziehen.«
»Nein, mein Schatz«, antwortete meine Mutter. »Es geht einzig und allein um dich. Du musst wieder gesund werden.«
»Ich bin nicht krank. Mir geht es gut. Ich bin bloß müde. Und ich werde nicht essen, wenn ich keinen Hunger habe. Schluss, aus, Ende. Ihr könnt mich nicht dazu zwingen.«
Wir sahen sie an, wie sie da saß, die Augen nach unten auf die Tischplatte gerichtet, und erneut hektisch an ihren Ärmeln herumzupfte.
»Whitney, du bist zu dünn«, fuhr mein Vater entschlossen fort. »Es wäre gut für dich –«
»Sag mir nicht, was gut für mich ist«, konterte Whitney. Stieß ihren Stuhl zurück, sprang auf. »Ihr habt keine Ahnung,
was
gut für mich ist. Sonst fände diese Unterhaltung nämlich gar nicht erst statt.«
»Liebling, wir wollen dir nur helfen.« Die Stimme meiner Mutter klang sanft. »Wir wollen –«
»Lasst mich in Ruhe!« Whitney knallte ihren Stuhl so heftig gegen den Tisch, dass die Teller schepperten. Dann stapfte sie wütend aus dem Zimmer. Eine Sekunde später öffnete sich die Haustür. Schloss sich wieder. Whitney war weg.
Nachdem mein Vater meine Mutter einigermaßen beruhigt hatte, stieg er in seinen Wagen, um Whitney zu suchen. Meine Mutter setzte sich angespannt wartend auf einen Stuhl im Eingangsbereich, für den Fall, dass er sie nicht fand. Ich aß schnell zu Ende, packte ihre drei Teller in Frischhaltefolie und stellte sie in den Kühlschrank. Spülte ab. Wurde gerade fertig, als ich den Wagen meines Vaters wieder in die Einfahrt rollen sah.
Als er mit Whitney hereinkam, sah sie niemandem in die Augen. Hielt den Kopf gesenkt, den Blick zu Boden gerichtet, während mein Vater erklärte, was jetzt passieren würde: Whitney würde eine Kleinigkeit essen,
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