Just Listen - Roman
geschehen würde. Geschweige denn darüber, welche emotionalen Auswirkungen es hatte. Er hatte mir die Sachlage erläutert, eine Prognose abgegeben – doch das war auch schon alles, was ich an Information bekam.
Nach ein paar Tagen im Krankenhaus wurde Whitney zur Therapie in eine Klinik verlegt, was sie so wütend machte, dass sie sich zunächst weigerte, mit meinen Eltern zu sprechen, wenn jene sie dort besuchten. Aber der Aufenthalt half ihr, das war nicht zu übersehen. Sie begann wieder an Gewicht zuzulegen. Ganz allmählich, jeden Tag ein bisschen.
Kirsten kam am Weihnachtsabend nach Hause. Meine Eltern waren zu dem Zeitpunkt nur noch erschöpft und gestresst, während ich tunlichst versuchte, bloß niemandem im Weg zu stehen. An ein fröhliches Familienfest oder Festtagsstimmung war nicht zu denken. Was Kirsten allerdings nicht davon abhielt, ihrerseits eine Bombe hochgehen zu lassen.
»Ich habe eine Entscheidung getroffen«, verkündete sie eines Abends beim Essen. »Ich werde das Modeln aufgeben.«
Am anderen Ende des Tisches legte meine Mutter ihre Gabel nieder. »Wie bitte?«
»Es langweilt mich.« Kirsten trank einen kleinen Schluck Wein. »Um die Wahrheit zu sagen: Ich finde es schon seit einiger Zeit total öde. Außerdem habe ich in New York sowieso nie viel als Model gearbeitet. Aber ich dachte, es ist besser, wenn ich es offiziell mache.«
Ich blickte verstohlen zu meiner Mutter hinüber. Sie war bereits so erschöpft und traurig – Kirstens Eröffnung war in dieser Situation alles andere als hilfreich. Auch mein Vater beobachtete meine Mutter aus den Augenwinkeln und sagte dann: »Tu bitte nichts Unüberlegtes, Kirsten.«
»Tu ich nicht. Ich habe lange und gründlich darüber nachgedacht.« Sie war die Einzige von uns, die weiteraß, und schob sich gerade einen Kartoffelbatzen auf ihre Gabel. »Seien wir doch ehrlich: Ich werde es nie auf unter fünfzig Kilo bringen. Oder gar auf mehr als eins sechsundsiebzig, wo wir schon mal beim Thema sind.«
»Du hattest immer viele Aufträge. Und zwar genauso, wie du bist«, sagte meine Mutter.
»
Manchmal
hatte ich ein paar Aufträge«, korrigierte Kirsten sie. »Davon leben konnte ich allerdings nie, ein Beruf ist es auch nicht. Seit ich acht bin, modele ich. Jetzt bin ich zweiundzwanzig. Ich würde gern was Neues anfangen.«
»Zum Beispiel?«, fragte mein Vater.
Kirsten zuckte mit den Achseln. »Weiß ich selbst noch nicht genau. Auf jeden Fall habe ich ja den Job im Restaurant; außerdem hat eine Freundin von mir einen Friseursalonund mir angeboten, dort ebenfalls am Empfang zu arbeiten. Das müsste reichen, um die meisten Rechnungen zu bezahlen. Und ich könnte mich in ein paar Vorlesungen und Seminare einschreiben oder so was.«
Mein Vater zog die Augenbrauen hoch. »Auf einmal willst du studieren?«
»Tu nicht so überrascht«, meinte Kirsten. Aber ich gebe zu, ich war ebenfalls ziemlich baff. Schon bevor sie sich zu ihrer Anfangszeit in New York still und heimlich vom College verkrümelt hatte, war Kirsten nie der intellektuelle Typ gewesen. Auf der Highschool hatte sie das bisschen Unterricht, das sie wegen des Modelns ohnehin verpasste, am liebsten auch noch geschwänzt und stattdessen ihre Zeit lieber mit einem ihrer leicht durchgeknallten, immer etwas schmuddelig wirkenden Freunde verbracht, die sie damals hatte.
»Viele Frauen in meinem Alter haben einen Hochschulabschluss oder machen richtig Karriere. Ich habe das Gefühl, dass ich ziemlich viel verpasst und vielleicht auch meine Zeit vergeudet habe, versteht ihr das nicht? Ich hätte gern einen Uni-Abschluss.«
»Du kannst studieren und trotzdem modeln«, schlug meine Mutter vor. »Das eine schließt das andere nicht aus.«
»Doch, das tut es«, gab Kirsten zurück. »Für mich schon.«
Unter anderen Umständen hätten meine Eltern sicher weiter darüber diskutieren wollen. Aber sie waren einfach fertig; außerdem war Kirsten zwar in erster Linie für ihre Direktheit bekannt, aber ihre Sturheit kam gleich an zweiter Stelle. Was sie sich in den Kopf gesetzt hatte, zog sie auch durch. Eine echte Überraschung konnte es ohnehin nicht sein, da sie schon seit Jahren nur noch halbherzig alsModel gearbeitet hatte. Und jetzt, so bald nach Whitneys Zusammenbruch, bedeutete ihre Entscheidung sogar noch mehr. Besonders für mich, auch wenn ich das zu jenem Zeitpunkt noch nicht ahnte.
Whitney blieb einen Monat lang in der Klinik. In dieser Zeit nahm sie zehn Pfund zu. Nach ihrer
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