Just Listen - Roman
zwar schon mit ein paar Jungs ausgegangen, aber etwas Ernstes hatte sich daraus nie entwickelt. Aber war das echt so schlimm? Dass ich das Gefühl bisher verpasst hatte? Diese Frage stellte ich mir ernsthaft, während wir mit quietschenden Reifen um die nächste Kurve bretterten, Sophie sich quer über mich lehnte und dabei mit hochrotem Gesicht aufgeregt die Hausnummern musterte. Falls das tatsächlich Liebe war – wollte ich das überhaupt erleben?
»Will könnte jede haben, die er will«, sagte Sophie und fuhr etwas langsamer an einer Reihe von Häusern auf der linken Seite vorbei. »Aber er hat sich
mich
ausgesucht. Er ist mit
mir
zusammen. Das lasse ich mir nicht von so einer Zicke kaputt machen.«
»Sie haben bloß miteinander geredet«, sagte ich. »Oder? Das hat doch echt nichts weiter zu bedeuten.«
»Nur geredet? Allein, auf einer Party, in einem Raum, in dem sonst niemand war – das ist nicht bloß Reden!«, entgegnete sie schroff. »Denn wenn du weißt, dass der Kerl, mit dem du redest, eine Freundin hat – besonders, wenn
ich
diese Freundin bin –, lässt du die Finger von ihm und machst nichts, das man missverstehen könnte. In so einem Fall hat man die Wahl, Annabel. Es ist allein deine Sache, was du tust, wie du dich entscheidest. Und sofern man sich falsch entscheidest und das Ganze ein Nachspiel hat, muss man sich leider an die eigene Nase fassen.«
Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück und sagte nichts, während sie vor einem kleinen weißen Haus anhielt. Das Licht über der Eingangstür brannte. Ein roter Polo mit einem Aufkleber der
Perkins
Day
-Hockeymannschaft an der hinteren Stoßstange stand in der Auffahrt. Wenn ich mehrMumm gehabt hätte – oder sehr dumm gewesen wäre –, hätte ich in dem Moment vielleicht darauf hinweisen können, sollen, müssen, es sei schlichtweg unmöglich, dass sämtliche Mädels in der Stadt es ausschließlich darauf abgesehen hätten, Sophies Beziehung mit Will zu sabotieren. Und dass Will an den Gerüchten kaum ganz unschuldig sein konnte. Aber dann fiel mein Blick auf ihr Gesicht, und etwas in ihrem Ausdruck erinnerte mich an jenen Tag im Schwimmbad vor vielen Jahren, als sie aus dem Nichts aufgetaucht war und sich sofort auf Kirsten als potenzielle beste Freundin fixiert hatte. Wobei es gar keine Rolle spielte, dass meine Schwester sie ignorierte oder sogar ausgesprochen unhöflich zu ihr war. Wenn Sophie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann wollte sie es. Punkt. Außerdem – trotz des ganzen Tamtams, der Dramen und endlosen Streitereien: Seit sie mit Will zusammen war, wurde sie mehr beneidet als je zuvor. Sie musste sich nicht mehr mit den angesagtesten Mädchen umgeben. Sie
war
das angesagteste Mädchen. Ich fragte mich, ob ihr Verhältnis zu Will letztlich nicht auf ähnlichen Voraussetzungen beruhte wie meins zu ihr: Befreundet zu sein, war schwierig und kompliziert. Ohneeinander wäre das Leben jedoch noch viel, viel schwieriger und komplizierter.
Deshalb blieb ich stumm im Wagen sitzen, während sie ausstieg, sich duckte, damit man sie ihm hellen Lichtschein von der Haustür her nicht entdeckte, und zu dem Polo in der Auffahrt lief. Ich wollte wegsehen, als sie entschlossen ihren Schlüssel in die Hand nahm und auf der lackglatten, glänzend roten Wagentür in großen Buchstaben unmissverständlich hinterließ, was die Besitzerin des Autos für sie jetzt war. Aber ich sah nicht weg, sondern zu. Wie immer. Erst als Sophie wieder auf mich in ihrem Auto zulief, alsich bereits zur Mittäterin geworden war, wandte ich mich ab.
Und jetzt? In der Gegenwart? Wieder einmal hatte die typische Ironie des Schicksals zugeschlagen: Obwohl ich Will und Sophie so oft bei ihrem privaten Drama beobachtet hatte, dass ich schon vorher wusste, was als Nächstes passieren würde, wurde ich am Ende kalt erwischt, als ich auf einmal feststellen musste: Ich war selbst ein Teil davon geworden. Eine Nacht,
eine
falsche Bewegung – und prompt war Sophie hinter mir her.
Ich
war mittlerweile die Schlampe, die Nutte. Und sie hatte mich nicht nur aus ihrem Leben gelöscht, sondern auch aus dem, das ich bis dahin immer wie selbstverständlich als mein eigenes betrachtet hatte.
***
»Annabel.« Mrs McMurty, die Agenturchefin, ging an mir vorbei. »Du bist als Nächste an der Reihe.«
Ich nickte, stand vom Boden auf, zupfte ein paar Fussel ab, strich meine Kleider glatt. In der entgegengesetzten Ecke des Raums posierte eines der neuen
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