Just Listen - Roman
Mädchen, eine lange Brünette, gerade ziemlich unbeholfen mit einer gigantischen blauen Servierplatte aus dem Küchenladen. Das Kalender-Shooting war immer leicht absurd. Jedes Mädchen stand für einen Monat Modell und musste dabei mit einem ausgesuchten Produkt aus einem der Geschäfte in der Mall posieren. Im Jahr zuvor hatte ich Pech gehabt und
Rochelles Reifenshop
erwischt, was bedeutete, dass ich mich zwischen einer reizvollen Ansammlung von Weißwand- und Gürtelreifen wiederfand.
»Halt die Platte so, als wolltest du jemandem etwas anbieten«,lautete die Anweisung des Fotografen. Das Mädchen hielt den Teller vor ihren Körper und reckte ihren Giraffenhals Richtung Kamera. »Das ist zu viel, viel zu viel«, meinte er. Sie wurde rot, wich ein wenig zurück.
Ich lief los, in Richtung des Fotografen, und passierte dabei ein paar Mädchen, die an der Wand lehnten. Ich war schon fast vorbei, als Hillary Prescott unvermittelt vor mich trat und mir dadurch den Weg abschnitt.
»Hey, Annabel.«
Hillary und ich hatten zusammen bei
Lakeview Models
angefangen, waren zu Beginn sogar befreundet gewesen. Doch auf die Dauer dämmerte mir, dass es besser war, auf Distanz zu ihr zu gehen, denn sie war ein immenses Klatschmaul. Zudem machte es ihr Spaß, Leute gegeneinander aufzuhetzen und einem die Suppe nicht nur einzubrocken, sondern auch noch gehörig darin herumzurühren.
»Hallo, Hillary.« Sie packte gerade ein Kaugummi aus, das sie sich nun in den Mund stopfte. Hielt mir das Päckchen hin. Ich schüttelte dankend den Kopf. »Was gibt’s?«, setzte ich hinzu.
»Nicht viel.« Sie hob die Hand, wickelte sich eine Haarsträhne um den Finger, musterte mich. »Wie war dein Sommer?«
Bei jedem anderen hätte ich, ohne lange nachzudenken, meine Standardantwort abgeliefert: »Danke, gut.« Und mir nichts weiter dabei gedacht. Aber da es sich um Hillary handelte, war ich auf der Hut. »Gut«, meinte ich knapp. »Und deiner?«
»Voll langweilig.« Sie stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. Kaute auf ihrem Kaugummi herum. Ich konnte sehen, wie es rosa glänzend auf ihrer Zunge lag. »Was ist eigentlich mit dir und Emily los?«
»Nichts. Wieso?«
Ein Achselzucken. »Früher seid ihr dauernd zusammen rumgehangen. Jetzt redet ihr nicht einmal mehr miteinander. Kommt einem nur ein bisschen komisch vor, das ist alles.«
Ich warf einen raschen Blick zu Emily hinüber, die gerade ihre Fingernägel inspizierte. »Keine Ahnung. Manchmal ändern sich die Dinge eben, schätze ich.«
Ich konnte ihren Blick förmlich auf meiner Haut spüren und mir war klar, dass sie trotz ihrer Nachfragen genau wusste, was passiert war. Oder zumindest einen Großteil davon. Aber ich hatte bestimmt nicht vor, ihr auch noch die restlichen Details zu präsentieren. »Ich gehe besser mal. Bin als Nächste dran.«
»Okay.« Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, während ich um sie herum trat. »Bis später.«
Ich stellte mich in der Nähe des Fotografen hin, um brav weiter auf meinen Auftritt zu warten, lehnte mich an die Wand und gähnte. Ausgiebig. Es war zwei Uhr, also mitten am Tag, doch ich war trotzdem völlig kaputt. Und schuld daran war einzig und allein: Owen Armstrong.
An jenem Morgen war ich sehr früh wach geworden, was dazu führte, dass ich um genau 6:57 Uhr auf meinen Wecker blickte. Ich wollte mich schon umdrehen, um weiterzuschlafen, da fiel mir Owens Sendung ein. An diesem Wochenende hatte ich des Öfteren an ihn gedacht, und sei es auch nur deswegen, weil mir seit unserem Gespräch auf einmal die kleinen Notlügen bewusst wurden, die mir wie selbstverständlich über die Lippen gingen. Von dem »Danke, gut«, welches ich zur Antwort gab, als mein Vater mich samstags fragte, wie es am Freitag in der Schule gewesen sei, bis hin zu meinem Nicken, als meine Mutter amAbend zuvor hatte wissen wollen, ob ich mich darauf freute, dass die Arbeit für
Lakeview Models
nach der Sommerpause wieder losging. Das alles zusammengenommen addierte sich zu einer ganzen Menge Unwahrheiten; jedenfalls waren es so viele, dass ich wenigstens darauf achten wollte, mein Wort zu halten, wann immer das problemlos möglich war. Ich hatte Owen gesagt, ich würde mir seine Sendung anhören. Also würde ich es auch machen.
Als ich Punkt sieben das Radio anstellte, hörte ich zunächst nur Rauschen. Ich beugte mich vor und presste mein Ohr an das Gerät, als es eine wahre Geräuschexplosion gab: ein Gitarrensound wie ein Erdbeben, das Klirren von Zimbeln,
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