Just Listen - Roman
irgendwer schrie. Ich zuckte erschrocken zurück, stieß mit meinem Ellbogen gegen das Radio und fegte es vom Bett. Es fiel mit lautem Scheppern auf den Boden, blieb aber an. Deshalb ging das Getöse mit unverminderter Lautstärke weiter.
Prompt hämmerte Whitney von der anderen Seite unwillig gegen die Wand. Ich schnappte mir das Radio, stellte es hastig leiser. Als ich es schließlich – dieses Mal gaaaaanz vorsichtig – wieder ans Ohr hielt, lief der »Song« zwar immer noch, doch waren die Worte, die der Sänger sang (besser gesagt: kreischte), vollkommen unverständlich. Solche Musik hatte ich noch nie gehört. Sofern es überhaupt Musik war.
Ein letztes Mal schepperten die Zimbeln – laut! –, dann war es vorbei. Das nächste Lied erwies sich allerdings als kein bisschen besser. Statt heulender Gitarren ertönte nun eine Art elektronischer Musik, die aus diversen Hup- und Piepsgeräuschen bestand. Über diesem Klangteppich verfiel ein Mann in einen monotonen Sprechgesang; was er von sich gab, klang mir ziemlich nach Einkaufsliste. DasWerk dauerte geschlagene fünfeinhalb Minuten. Ich weiß das deshalb so genau, weil ich meinen Blick unverwandt auf den Wecker gerichtet hielt und betete, es möge aufhören. Als es endlich vorbei war, hörte ich Owens Stimme.
»
Misanthrope
waren das, mit
Descartes Dream
. Davor
Lipo
mit dem Titel
Jennifer
. Sie hören die Sendung
Anger Management
auf WRUS, Ihrem kommunalen Radiosender. Und hier kommt –
Nuptial
.«
Noch ein ewig langes Technostück, gefolgt von etwas, das sich anhörte wie ein paar alte Männer, die mit brüchigen, rauen Stimmen Gedichte über Walfängerschiffe rezitierten. Anschließend – geschlagene zwei Minuten lang – tröpfelnde Harfenmusik. Was Owen sendete, war so ein Mischmasch, dass ich mich nicht einmal ansatzweise einhören konnte. Stattdessen saß ich eine Stunde vor dem Radio, vernahm ein Stück nach dem anderen und wartete, dass ich zumindest eins davon a) verstehen oder b) genießen konnte. Fehlanzeige. Eins stand jedenfalls fest: Ich würde nie erleuchtet sein. Bloß ermattet.
»Annabel.« Mrs McMurtys Stimme katapultierte mich in die Gegenwart zurück. »Wir warten!«
Ich nickte und ging hinüber, um mich in die Kulisse zu stellen, die inzwischen mit diversen Pflanzen dekoriert worden war: eine Grünlilie, einige Farne, eine große Palme, die in einem Topf mit Rollen stand. Offensichtlich hatte ich in diesem Jahr
Laurels Pflanzenladen
erwischt. Immerhin besser als Reifen.
Den Fotografen kannte ich nicht und er begrüßte mich auch nicht, als ich vor ihn trat – er war viel zu beschäftigt mit seiner Kamera. Der Requisiteur schob den Topf dichter an mich heran. Ein Palmwedel streifte meine Wange.
Der Fotograf betrachtete das Set mit mir darin prüfend.»Wir brauchen mehr Pflanzen«, sagte er zu Mrs McMurty, die in seiner Nähe stand. »Sonst muss ich den Bildausschnitt zu eng halten.«
»Haben wir denn mehr Pflanzen?« Mrs McMurty wandte sich an den Requisiteur.
Der warf einen Blick in den angrenzenden Raum. »Ein paar Kakteen. Und einen Ficus. Aber der sieht schon ein bisschen mickrig aus.«
Es machte leise
puff
, als der Belichtungsmesser ausging. Ich hob die Hand, um den Palmwedel aus meinem Gesicht zu schieben. »Super«, sagte der Fotograf, trat näher, schob ihn zurück. »Gefällt mir. Eine Art Enthüllungsszene. Mach das noch einmal.«
Brav wiederholte ich die Geste und versuchte, nicht zu niesen, obwohl der Palmwedel mein Gesicht kitzelte. Ich bemerkte, dass die anderen Mädchen, die hinter dem Fotografen standen, mich beobachteten – die neuen Models, die erfahrenen, Emily. In letzter Zeit war ich so oft angestarrt worden, dass ich es mittlerweile hasste. Doch hier nicht, hier gehörte es dazu. Der Ablauf war mir vertraut, was mir dabei half, für ein paar Minuten das Grübeln einzustellen und mich darauf zu konzentrieren, was von mir verlangt wurde: ein Augenaufschlag, ein flüchtiger Blick, ein Gesichtsausdruck. Wie zum Beispiel dieser hier, mit der Palme.
»Spitze«, meinte der Fotograf. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich, wie ein Kaktus an mich herangerückt wurde, hielt jedoch den Blick fest auf den Fotografen gerichtet, der begeistert und konzentriert um mich herumsprang. Er gab mir Anweisungen, vorzutreten, den Palmwedel beiseitezuschieben, das Blitzlicht flammte auf – wieder und wieder und noch einmal.
Nachdem meine Mutter an dem Abend nach dem Kalender-Shooting ins Bett
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