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Justice (German Edition)

Justice (German Edition)

Titel: Justice (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Fermer
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wurde die Schusswunde unter Herrn Steins Rippen immer dunkler. Die Schwellung ließ allmählich nach und die Haut wurde hart und zäh. Herr Stein blieb bettlägerig und war nach wie vor vollkommen auf Milan angewiesen. Der Junge kochte für ihn, kaufte Lebensmittel ein, leerte die improvisierte Bettpfanne, die jetzt rund um die Uhr neben dem Sofa stand, und versorgte ihn täglich mit der Zeitung. Obwohl sich die jeweiligen Besuche von Milan und Dorothy nie überschnitten, konnte Milan immer sehen, wenn Dorothy vorbeigekommen war und Stein behandelt hatte. Ihre Besuche zeichneten sich außerdem in Herrn Steins Gemütslage ab. Nach einer Visite seiner ehemaligen Freundin leuchteten seine Augen und er war in einer deutlich besseren Verfassung. Er sprach über sie in den höchsten Tönen.
    Das vereitelte Attentat auf Paul Kruger war natürlich auch das Thema der Woche in den südafrikanischen Medien. Zuerst hatte Kruger sich der Öffentlichkeit ferngehalten, doch dann konnte er scheinbar dem Reiz seines plötzlichen Ruhmes nicht widerstehen. Schließlich war er der Mann, der den Apartheid-Killer aller Wahrscheinlichkeit nach in die Flucht geschlagen hatte.
    Da Herr Stein keinen Fernseher besaß, schaute Milan die Nachrichten jede Nacht zu Hause. Dort sah er Paul Kruger zum ersten Mal wieder, nur wenige Tage nach dem schrecklichen Vorfall. Der Mann strotzte vor Stolz. Sein Auftritt in den Medien veränderte die Stimmung im Land. Die heimliche Akzeptanz der mörderischen Aktivitäten des Apartheid-Killers wandelte sich in Entsetzen und Empörung über seine Arroganz und seinen Größenwahn. Kruger appellierte an die Humanität der Bevölkerung und es gelang ihm ein brillanter Schachzug, indem er sein Versäumnis in der Vergangenheit einräumte.
    »Ich bin nicht unschuldig«, sagte der ehemalige Geschäftsmann in einer Pressekonferenz, die er im Kapstädter Rathaus abhielt. »Ich hätte damals auch etwas gegen den Apartheid-Staat unternehmen können. Ich gebe es ehrlich zu: Ich war zu feige. Ich hatte eine Frau, Kinder, einen Job. Ja, mein Leben war gut. Besser als das Leben meiner schwarzen Landsleute. Heute schäme ich mich dafür. Ich wünschte, dass ich damals mehr getan hätte, aber ich hatte Angst. Vor dem Knast, vor der Folter, vor der Möglichkeit, meine Familie zu verlieren. Wir hatten alle Angst. So funktioniert letztendlich ein Polizeistaat. Den Mund halten, Kopf runter und durch, das war mein Lebensmotto. Ich kann jetzt zugeben, dass ich damals das System unterstützt habe, indem ich einfach stillgehalten und nichts dagegen unternommen habe. Wie Millionen andere Menschen auch. Wie die ganze Welt sogar. Aber berechtigt dies wirklich einen selbst ernannten Richter dazu, mich zu töten?«
    Bei der Pressekonferenz schaute er direkt in die Kamera und war sichtlich gerührt. Seine Augen leuchteten emotionsgeladen.
    »Ich habe damals nichts Falsches getan. Ich habe kein Verbrechen begangen. Meine einzige Sünde war meine Hautfarbe und die Tatsache, dass ich damals die Faust nicht erhoben habe. Es kann sein, dass es ohne Leute wie mich auch keine Apartheid gegeben hätte – das kann ich nicht beurteilen –, aber ich habe sie mir nicht selbst ausgedacht.«
    Es wurde eine Nahaufnahme von Krugers gefalteten Händen gezeigt. Er presste seine Finger fest aneinander, als ob ihn seine Erinnerung viel Kraft kostete. Seine Knöchel waren blutleer. Es sah fast aus, als ob er betete.
    »Der Apartheid-Killer interessiert sich nicht für die Wahrheit«, fuhr er mit einer gequälten Grimasse fort. »Er will Blut sehen. Er glaubt, dass er mit dem Blut unschuldiger Menschen alles wiedergutmachen kann. Aber die Rechnung geht nicht auf. Blut fordert nicht Blut. Blut fordert Frieden. Der Apartheid-Killer hat ein eigenes Universum erfunden. Es existiert nur in seinem Kopf. Dort, wo er die Gesetze macht. Wir, als ehrliche Bürger dieses Landes, dürfen seine Gesetzlosigkeit nicht einfach hinnehmen. Wir müssen den Apartheid-Killer so sehen, wie er ist: als einen kranken Mann, einen Menschen, der die Welt durch seine gestörten Augen wahrnimmt. Ich habe auf den Apartheid-Killer geschossen, weil es an der Zeit ist, ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen. Seine kaltblütigen Morde müssen verhindert werden. Meine Kugel traf ihn hier.« Er schlug sich dramatisch unter die Rippen. »Es ist sehr unwahrscheinlich, dass er noch lebt. Das können wir nur hoffen. Wir alle. Für unser ganzes Land. Ich glaube, ich kann mit Zuversicht sagen,

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