Justin Mallory 02 - Mallory und die Nacht der Toten
mischte sich in die Orgelklänge.
»Was zum Teufel ist das?«, wollte Mallory wissen.
»Sofern ich nicht falschliege, ist das der Wiener Knabenchor«, antwortete McGuire.
»Die sind nur für heute Abend den ganzen weiten Weg geflogen?«
»Nein«, sagte McGuire. »Das ist der Wiener Knabenchor aus dem achtzehnten Jahrhundert. Um All Hallows’ Eve herum tauchen sie immer irgendwo auf. Schafft richtig Atmosphäre, findest du nicht?«
»Klingt gruselig«, fand Mallory.
»Na ja, das ist nun mal das städtische Leichenschauhaus«, gab McGuire zu bedenken.
Mallory blickte sich um. »Wohin ist Felina verschwunden?«
»Ich bin gleich hier«, sagte eine Stimme hinter ihm.
»Was machst du da?«
»Ich achte auf das, was in deinem Rücken vor sich geht«, sagte sie. »Aber das ist eine wirklich langweilige Aufgabe. Er bleibt einfach da zwischen Kopf und Hüften und tut überhaupt nichts.«
»Achte nur darauf, dass sich niemand an ihn heranschleicht«, sagte Mallory.
Sie betraten das Gebäude, fanden sich in einer kleinen Eingangshalle wieder, trugen sich am Empfangsschalter ein und unterschrieben Erklärungen, dass sie keine angesehenen, ihre Beiträge entrichtenden Mitglieder der Grabräubergewerkschaft waren. Anschließend führte man sie durch die Eingangshalle in einen riesigen Raum, der fast die Ausmaße eines städtischen Häuserblocks hatte. Überall standen Tische und Autopsiebänke, liefen Angestellte hin und her, untersuchte der eine oder andere Pathologe die eine oder andere Leiche und ragte in einer Ecke eine riesige, mit Münzen bedienbare Eismaschine auf.
»Die sind hier aber nicht besonders gut organisiert, oder?«, bemerkte McGuire.
»Was hast du erwartet?«, fragte Mallory. »Das gehört schließlich zur Bürokratie. Sieh dich mal um und versuche festzustellen, wo sie den Jungen abgelegt haben. Du weißt doch noch, wie er aussieht, oder?«
»Ja.«
»Nimm die linke Seite des Gebäudes, und ich nehme die rechte.« Mallory wandte sich an Felina. »Du bleibst bei mir.«
Sie sprang ihm lässig auf den Buckel. »Ja, John Justin.«
»Nicht so nahe.«
»Du verdirbst alles«, fand sie und rutschte auf den Boden.
Sie gingen zwischen den Autopsieplatten einher. Auf einer davon befand sich ein Sarg. Eine Frau mit kalkweißer Haut, schwarzem Kleid und hellrotem Lippenstift stand daneben und stritt mit einem Helfer.
»Mir ist die Qualität der Erde egal«, sagte sie gerade. »Sie stammt aus dem falschen Land.«
»Bettler dürfen nicht wählerisch sein«, feuerte der Helfer zurück. »Wenn Sie einen Platz brauchen, um sich morgen früh schlafen zu legen, müssen Sie nehmen, was zur Verfügung steht. Und ich brauche fünf Mücken im Voraus.«
»Aber ich kann nicht darin schlafen!«
»Sehen Sie, Lady, diese Erde wurde vom großen Schlangenicht persönlich gedüngt. Für Erde dieser Art blecht man überall in der Stadt drei Mücken das Pfund.«
»Ist mir doch egal, wer hineingeschissen hat!«, blaffte die Frau. »Ich brauche Erde aus meiner Heimat im Tal der Loire!«
»Haben Sie schon mal überlegt, nach Kentucky umzuziehen?«
»Nein!«
»Na ja, wie wäre es dann mit Yonkers?«, fragte der Helfer und trat an den nächsten Autopsietisch. »Dieser Sarg hier ist voll mit Erde aus dem schönen innerstädtischen Yonkers und wurde vor weniger als vier Monaten von Harvey Melchik gedüngt, der mir die ganze beschämende Geschichte im Vertrauen erzählte und mich schwören ließ, sie nie weiterzuerzählen.«
»Sie sind ein hoffnungsloser Fall!«, schimpfte die Frau.
»Vielleicht«, erwiderte der Helfer würdevoll, »aber ich weiß wenigstens, wo ich heute Nacht schlafe.«
Mallory ging weiter. Felina machte ein Gesicht, als stünde sie kurz davor, sich davonzumachen, also entschied er, sie am Handgelenk zu packen.
»Das tut weh!«, beschwerte sie sich.
»Nein, tut es nicht.«
»Na ja, das täte es aber, wenn ich ziehen und du drehen würdest.«
»Also ziehe nicht, und ich drehe auch nicht.«
Sie lächelte. »Du denkst aber auch an alles, John Justin.«
Sie versuchte unvermittelt, zur Rückseite des Raums hin auszubrechen. » Au!« Sie funkelte ihn an. »Ich dachte, du wolltest mir nicht den Arm verdrehen!«
»Ich dachte, du wolltest nicht ziehen«, sagte Mallory.
»Wie kommst du nur auf diese Idee?«
»He, Mister!«, sagte ein Goblin, der sich von der Seite an sie heranmachte. »Brauchen Sie Hilfe dabei, die kleine Dame zu vermöbeln?«
»Nein«, erwiderte Mallory.
»Sind Sie sicher?«, fragte der
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