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Justiz

Justiz

Titel: Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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tüchtig?«
    »Natürlich sind sie tüchtig«, antwortete der Zuchthausdirektor,
    »aber das habe ich, nicht ein Gefangener festzustellen. Man jubelt schließlich auch nicht in der Hölle.«
    »Gewiß«, gab ich zu.
    »Ich bin wütend geworden, habe striktes Einhalten der Reglemente verordnet, obwohl ich von sehen des Justizdepartements angewiesen worden bin, möglichst Milde walten zu lassen, und kein Gefängnisreglement der Welt einem Gefangenen verbietet, vollkommen glücklich zu sein. Aber ich bin einfach emotional durcheinander gewesen. Herr Spät, Sie müssen das verstehen. Kohler hat die übliche verschärfte Einzelhaft bekommen, Dunkelarrest – na ja, eigentlich verboten –, doch schon nach wenigen Tagen fällt mir auf, daß die Wärter Kohler mögen, ja geradezu verehren.«
    »Und nun?« fragte ich.
    »Nun habe ich mich mit ihm abgefunden«, brummte der Gefängnisdirektor.
    »Sie verehren ihn ebenfalls?«
    Der Zuchthausdirektor schaute mich nachdenklich an. »Sehn Sie, Herr Spät«, sagte er, »wenn ich so in seiner Zelle sitze und ihm zuhöre – weiß der Teufel, da geht eine Kraft von ihm aus, eine Zuversicht, man könnte da beinahe wieder an die Menschheit glauben und an alles Schöne und Gute, auch unser Pfarrer ist hingerissen, es ist wie eine Seuche. Aber Gott sei Dank bin ich ja dann wieder ein gesunder Realist und glaube nicht an vollkommen glückliche Menschen. Am wenigsten an solche in Zuchthäusern, sosehr wir auch das Leben bei uns zu erleichtern suchen. Wir sind schließlich keine Unmenschen. Aber Verbrecher sind Verbrecher.
    Darum sage ich mir dann wieder: Der Mann kann gefährlich sein, 36
    muß gefährlich sein. Sie sind neu in Ihrem Beruf, passen Sie deshalb auf, daß er Ihnen keine Falle stellt, am besten lassen Sie vielleicht überhaupt die Finger davon. Natürlich ist das nur ein Rat, Sie sind schließlich Rechtsanwalt und entscheiden selber. Wenn man nur nicht so hin und her gerissen wäre. Der Mann ist entweder ein Heiliger oder ein Teufel, und ich halte es für meine Pflicht, Sie zu warnen, was ich nun getan habe.«
    »Vielen Dank, Herr Direktor«, sagte ich.
    »Ich lasse Ihnen nun Kohler holen«, atmete der Zuchthausdirektor auf.
    Der Auftrag: Die Unterredung mit dem vollkommen glücklichen Menschen fand im Nebenzimmer statt. Möblierung und Aussicht dieselbe. Ich erhob mich, als ein Wärter Dr. h.c. Isaak Kohler hereinführte. Der Alte war in brauner Zuchthauskleidung, sein Wärter in schwarzer Uniform, sah aus wie ein Briefträger.
    »Nehmen Sie doch Platz, Spät«, sagte Dr. h.c. Isaak Kohler, tat überhaupt wie ein Gastgeber, generös und jovial. Ich dankte beeindruckt, nahm Platz. Dann bot ich dem Sträfling eine Parisienne an, Kohler lehnte ab.
    »Ich rauche nicht mehr«, erklärte er, »ich nutze die Gelegenheit, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.«
    »Sie empfinden das Zuchthaus besonders angenehm, Herr Kohler?« fragte ich.
    Er schaute mich verwundert an: »Sie nicht?«
    »Ich befinde mich ja nicht drin«, antwortete ich.
    Er strahlte. »Es ist herrlich. Diese Ruhe! Diese Stille! Ich habe allerdings ein ziemlich aufreibendes Leben geführt, vorher. Mit meinem Trust.«
    »Kann ich mir denken«, stimmte ich ihm bei.
    »Und kein Telefon«, sagte er, »gesund bin ich auch geworden.
    Sehn Sie.« Er machte einige Kniebeugen. »Das konnte ich vor einem Monat noch nicht«, erklärte er stolz. »Wir haben hier auch einen Turnverein.«
    »Ich weiß«, sagte ich.
    37
    Draußen spazierte immer noch die fette Amsel hoffnungsvoll hin und her, vielleicht war es aber auch eine andere. Der vollkommen glückliche Mensch betrachtete mich wohlgefällig. »Wir haben uns schon einmal kennengelernt«, sagte er.
    »Ich weiß.«
    »Im Café ›Du Théâtre‹«, das ja in meinem Leben eine gewisse Rolle spielte. Sie schauten mir damals beim Billard zu.«
    »Ich verstehe nichts von Billard.«
    »Immer noch nichts?«
    »Immer noch nichts, Herr Kohler.«
    Der Sträfling lachte und wandte sich an den Wärter: »Möser, hätten sie die Güte, unserem jungen Freund Feuer zu geben?«
    Der Wärter sprang auf, kam mit einem Feuerzeug.
    »Aber natürlich, Herr Kantonsrat, aber selbstverständlich.« Auch er strahlte.
    Dann setzte sich der Wärter wieder. Ich begann zu rauchen. Die Herzlichkeit der beiden erschöpfte mich. Ich hätte gerne das unvergitterte große Fenster geöffnet, doch das ging wohl nicht in einem Zuchthaus.
    »Sehn Sie, Spät«, sagte er, »ich bin ein simpler Sträfling,

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