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Justiz

Justiz

Titel: Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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nichts weiter, und Möser ist einer meiner Wärter. Ein großartiger Mensch.
    Er weiht mich in die Geheimnisse der Bienenzucht ein. Ich fühle mich schon als Imker, und mit dem Wärter Brunner – auch dessen Bekanntschaft sollten Sie machen – lerne ich Esperanto. Wir unterhalten uns nur in dieser Sprache. Sie können es selbst konstatieren: Heiterkeit, Gemütlichkeit, Herzlichkeit überall, tiefster Friede. Ich bin ein vollkommen glücklicher Mensch geworden.
    Vorher? Mein Gott! … Ich studiere den Plato im Urtext, flechte Körbe – brauchen Sie einen Korb, Spät?«
    »Leider nein.«
    »Die Körbe des Herrn Kantonsrat sind Meisterkörbe«, bestätigte der Wärter stolz in seiner Ecke: »Ich habe ihm das Korbflechten persönlich beigebracht, und nun übertrifft er schon jeden anderen unserer Korber. Wirklich, übertreibe nicht.«
    Ich bedauerte: »Tut mir leid, benötige keinen.«
    »Schade, ich hätte Ihnen wirklich gern einen geschenkt«, sagte 38
    Kohler.
    »Lieb von Ihnen.«
    »Zur Erinnerung.«
    »Nichts zu machen.«
    »Schade. Jammerschade.«
    Ich wurde ungeduldig. »Darf ich nun wissen, warum Sie mich herbestellt haben?« fragte ich.
    »Natürlich«, antwortete er. »Selbstverständlich. Ich vergesse ganz, daß Sie von draußen kommen, es eilig haben, herumwirbeln. Zur Sache also: Sie haben mir damals im ›Du Théâtre‹ erzählt, vielleicht erinnern Sie sich, Sie hätten vor, sich selbständig zu machen.«
    »Ich bin jetzt selbständig.«
    »Man hat mich informiert. Wie geht der Laden?«
    »Herr Kohler«, sagte ich, »das dürfte hier kaum von Interesse sein.«
    »Also schlecht«, nickte er. »Dachte es mir. Und Ihr Büro befindet sich in einer Mansarde in der Spiegelgasse, nicht wahr? Auch schlecht. Ganz schlecht.«
    Ich hatte genug und erhob mich. »Entweder teilen Sie mir jetzt mit, was Sie von mir wollen, Herr Kohler, oder ich gehe«, sagte ich grob.
    Der vollkommen glückliche Mensch erhob sich ebenfalls, wurde auf einmal mächtig, unwiderstehlich, drückte mich in meinen Sessel zurück, mit beiden Händen, die sich wie Gewichte auf meine Schultern legten.
    »Bleiben Sie«, befahl er drohend, beinahe bösartig.
    Es blieb mir nichts anderes übrig als zu gehorchen. »Bitte«, sagte ich, hielt mich still. Auch der Wärter.
    Kohler setzte sich wieder: »Sie brauchen Geld«, stellte er fest.
    »Das wird hier nicht diskutiert«, antwortete ich.
    »Ich bin bereit, Ihnen einen Auftrag zu geben.«
    »Ich höre.«
    »Ich wünsche, daß Sie meinen Fall aufs neue untersuchen.«
    Ich stutzte: »Das heißt, Sie wünschen einen Revisionsprozeß, Herr Kohler?«
    Er schüttelte den Kopf. »Wenn ich einen Revisionsprozeß anstreben würde, müßte meine Strafe nicht in Ordnung sein, aber sie 39
    ist in Ordnung. Mein Leben ist abgeschlossen, zu den Akten gelegt.
    Ich weiß, daß mich der Zuchthausdirektor bisweilen für einen Heuchler hält und Sie, Spät, wohl auch. Verständlich. Aber ich bin weder ein Heiliger noch ein Teufel, ich bin einfach ein Mensch, der draufgekommen ist, daß man zum Leben nichts weiter als eine Zelle braucht, kaum mehr als zum Sterben, da genügt ein Bett, noch später ein Sarg, denn die menschliche Bestimmung liegt im Denken, nicht im Handeln. Handeln kann jeder Ochse.«
    »Schön«, sagte ich, »das sind lobenswerte Prinzipien. Aber nun soll ich für Sie handeln, Ihren Fall noch einmal untersuchen. Darf der Ochse fragen, was Sie im Schilde führen?«
    »Ich führe nichts im Schilde«, antwortete Dr. h.c. Isaak Kohler schlicht. »Ich denke nach. Über die Welt, über die Menschen, vielleicht auch über Gott. Aber dazu brauche ich Material, sonst bewegt sich mein Denken im Leeren. Was ich von Ihnen verlange, ist nichts als eine kleine Hilfe zu meinen Studien, die Sie ruhig als Hobby eines Millionärs betrachten können. Auch sind Sie nicht der einzige, den ich um solche kleine Handlangerdienste bitte. Kennen Sie den alten Knulpe?«
    »Den Professor?«
    »Den.«
    »Ich habe bei ihm noch studiert.«
    »Sehn Sie. Der ist nun pensioniert, und damit er mir nicht dahinsärbelt, habe ich ihm auch einen Auftrag gegeben. Er arbeitet an einer Untersuchung: Folgen eines Mordes. Er stellt die Auswirkungen fest, die das etwas gewaltsame Ableben seines Kollegen gehabt hat und noch hat. Hochinteressant. Es macht ihm einen Riesenspaß. Es gilt, die Wirklichkeit auszuloten, die Wirkungen einer Tat exakt auszumessen. Was nun Ihre Aufgabe angeht, mein Bester, so ist sie anderer Art, der Arbeit Knulpes

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