Justiz
Tolstoi, dem mittleren Rabindranath Tagore und dem jungen Klages, plante eine kosmische Erneuerungsbewegung, proklamierte eine vegetarische Weltregierung, deren Erlaß leider niemand befolgte (der Erste Weltkrieg, Hitler – obgleich Vegetarier –, der Zweite Weltkrieg, überhaupt das ganze nachfolgende Schlamassel wäre vermieden worden!), gab Zeitschriften heraus, teils okkultischen, teils edelpornographischen Inhalts, schrieb Mysterienspiele, trat später zum Buddhismus über, um noch später, schon steckbrieflich gesucht, in unzählige Bankrotte und Vaterschaftsklagen verwickelt, als Sekretär des Dalai-Lama zu enden, angeblich, denn einige unserer Mitbürger, Mitglieder einer Filmequipe, wollten ihn in den dreißiger Jahren in Schanghai in einem Barpianisten wiedererkannt haben.
Die Lage der Villa: Für einen aus unbemittelten, oder besser, aus gar keinen Verhältnissen stammenden Rechtsanwalt, der sich eben entschlossen hatte, den Salto mortale (Zitat Friedli) ins angenehmere Leben zu wagen, erwies sich der Weg von Lienhards Porsche zur Haustüre des Dr. h.c. Isaak Kohler animierend, er führte durch einen Park. Schon die Natur atmete Reichtum. Die Flora ließ sich nicht lumpen. Die Bäume durchwegs majestätisch, noch sommerlich.
Auch der Föhn machte sich nicht bemerkbar, selbst hier müssen mit irgendwelchen Instanzen Abmachungen getroffen worden sein, reichen Leuten ist vieles möglich. (Für Ortsfremde: Unter Föhn wird in unserer Stadt eine Wetterlage verstanden, die Kopfweh, Selbstmord, Ehebrüche, Verkehrsunfälle und Gewaltakte fördert.) Man schritt über einen sorgfältig gerechten und gejäteten Kiesweg.
Überhaupt war es nicht ein moderner Park. Mehr im alten Stil 56
angelegt, soigniert.
Kunstvoll zugeschnittene Hecken und Büsche. Bemooste Statuen.
Nackte bärtige Götter mit jugendlichen Hintern und Waden. Stille Teiche. Ein gravitätisches Pfauenpaar. Dabei lag der Park mitten in der Stadt, allein ein Quadratmeter dieses Bodens mußte astronomische Summen erzielen. Er war von Trams umdonnert, von Autos umrollt, der Verkehr brandete an die ehrwürdigen schmiedeeisernen Gitter mit den vergoldeten Spitzen wie ein Ozean, tobte, klingelte und hupte, aber dennoch war es in Kohlers Park still.
Wahrscheinlich war es den Schallwellen verboten hinüberzudringen.
Nur einige Vögel waren zu vernehmen. Das Haus selbst: In Wirklichkeit war es einmal entsetzlich gewesen, architektonisch ein Sündenpfuhl, der abendländische Denker hatte es selbst entworfen.
Wie es dem Kantonsrat gelang, daraus etwas Wohnliches, Humanes zu machen, ist eines seiner Geheimnisse. Offenbar wurden Mengen von Kuppeln, Türmen, Erkern, Putten und Tierkreisbestien heruntergeschlagen (Nikodemus Molch betrieb auch Astrologie), bis sich aus dem Wust eine von wildem Wein, Efeu, Geißblatt und Rosen umrankte, zwar immer noch vergiebelte, aber um so gemütlichere Villa herausschälte, groß und geräumig, und so zeigte sie sich auch von innen, als ich sie nach einem letzten Blick auf den nur noch als roten Farbfleck sichtbaren Porsche betrat. Die Architekten hatten Tüchtiges geleistet, Wände herausgebrochen, Spannteppiche gelegt usw., alles war bequem und leicht. Antike Möbel, alles kostbare Stücke, an den Wänden berühmte Impressionisten, später alte Holländer (ein Dienstmädchen führte mich). Im Arbeitszimmer des Kantonsrats hatte ich zu warten. Der Raum war geräumig, von der Sonne vergoldet. Durch die geöffnete Flügeltür konnte man in den Park gelangen, die beiden Fenster, die Tür flankierend, reichten fast bis zum Fußboden. Kostbares Parkett, ein riesiger Schreibtisch, tiefe Ledersessel, an den Wänden keine Bilder, nur Bücher bis zur Decke, ausschließlich mathematische und naturwissenschaftliche Werke, eine beachtliche Bibliothek, zu welcher der Billardtisch in einem recht sonderbaren Gegensatz stand.
Er befand sich in einer weiten Nische. Auf der grünen Fläche lagen noch drei Kugeln, an der Wand der Nische eine Sammlung von 57
Billardstöcken. Viele alte Stücke mit Inschriften. Ein Billardstock von Honore de Balzac, einer von Gottfried Keller, ein anderer vom General Dufour, einer von Bismarck, sogar einer, der angeblich Napoleon gehört haben soll. Ich schaute mich etwas verlegen um.
Der alte Dr. h.c. war überall zu spüren, es war mir, als könnte er jeden Augenblick vom Park hereinkommen, als hörte ich sein Lachen, als streifte mich sein aufmerksamer Blick.
Die Vision: Da geschah etwas
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