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Justiz

Justiz

Titel: Justiz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Dürrenmatt
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entgegen. Aß er in einem Restaurant, aß am Nebentisch Lienhard.
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    Dieser war immer in seiner Nähe. Wo Jämmerlin auch wohnte, im Nebenhaus wohnte Lienhard, zog Jämmerlin wütend in eine Mietwohnung um, plötzlich hauste Lienhard über ihm. Jämmerlin wußte sich nicht mehr zu helfen. Der Anblick Lienhards wurde ihm unerträglich. Er war mehrere Male nahe daran, sich auf ihn zu stürzen, tätlich zu werden, und einmal kaufte er sich sogar einen Revolver. Er zog von einer Straße zur anderen, von einem Stadtteil zum anderen, von der Hinterberg-Straße in die C. F. Meyer-Straße, von Wollishofen nach Schwamendingen, und als er endlich weitab von aller Zivilisation in der Katzenschwanz-Straße bei Witikon ein Chalet bauen ließ, wurde neben ihm ebenfalls gebaut. Jämmerlin schwante Ungutes. Daß sich als Bauherr der Prokurist einer Bank herausstellte, beruhigte ihn nur zeitweise. Mit Recht, denn als er im Frühjahr hemdsärmelig zum ersten Mal den jungen Rasen sprengte, winkte ihm über den frisch gestrichenen Gartenzaun Lienhard fröhlich entgegen, benahm sich wie unter alten Bekannten (die sie schließlich waren), stellte sich als neuer Nachbar vor. Der Bankprokurist war nur eine Attrappe gewesen. Jämmerlin wankte zum Haus zurück, kam noch bis zur Veranda. Zweiter Nervenzusammenbruch, dazu Herzinfarkt. Die Ärzte schwankten zwischen Irrenhaus und Klinik. Jämmerlin blieb zu Hause liegen, unbeweglich, wächsern, galt als erledigt. Doch er war zäh. Er rappelte sich wieder hoch, wenn auch innerlich verwüstet.
    Hinsichtlich Lienhard stille Ergebung. Die beiden blieben nebeneinander wohnen. Am Waldrand. Mit Blick auf Witikon.
    Jämmerlin wagte sich nicht mehr zu rühren. Um so mehr als er gegen eine andere Tätigkeit Lienhards auch machtlos war. Der war Privatdetektiv geworden, betrieb sein Geschäft in großem Stil. Er hatte in einem der feudalen Geschäftshäuser im Talacker Räume gemietet, gleich eine ganze Etage, von einem Zimmer schwebte man ins andere. Hinter modernen Bürotischen saßen einige gewichtige Herren, alte Sportler, wenn auch bierbäuchig, Zigarren rauchend und zufrieden, mit kurzgeschorenen Haaren, ferner ehemalige Polizisten, die er eingekauft hatte, was Lienhard finanziell bieten konnte, übertraf die Möglichkeiten unserer Stadt beträchtlich. Aber nicht diese Erwerbungen ärgerten Jämmerlin, Geschäft war Geschäft, 52
    dagegen ließ sich leider nichts vorbringen. Was ihn quälte, waren ganz andere Anschaffungen. Es war nicht zu übersehen, daß die vornehmen Räume im Talacker öfters von Elementen belebt wurden, die Jämmerlin einst verdonnert hatte, von ehemaligen Zuchthäuslern und schweren Jungen, die nun hier, in die Ehrlichkeit hinübergewechselt, als Fachmänner eingesetzt wurden. Seine
    »kriminalistische Abteilung« hatte denn auch in unserer Stadt großen Erfolg, trotz der horrenden Honorare, die er zu fordern, und der saftigen Spesen, die er zu berechnen pflegte, denn die
    ›Privatauskunftei Lienhard‹, wie sie sich offiziell nannte, lieferte Beweise für die Untreue oder die Unschuld beargwöhnter Eheleute, sorgte für Väter, falls solche den Müttern nicht ohne weiteres zur Verfügung stehen wollten, gab Auskünfte über Privates und Industrielles, ließ überwachen, verfolgen, aufstöbern, traf diskrete Arrangements und wurde von den Strafverteidigern benutzt, gewisse Absichten Jämmerlins zu durchkreuzen, Gegenbeweise zu liefern, überhaupt mit Neuem aufzufahren. Viele Prozesse nahmen dank Lienhards Institut für die Angeklagten eine unverhofft günstige Wendung, auch trafen sich im Talacker die Rechtsanwälte im geheimen, Lienhard war ein glänzender Gastgeber, auch politische Gegner tauschten bei ihm ihre Karten.
    Das als Vorbemerkung. Unsere Begegnung an diesem Vormittag fand unmittelbar vor dem ›Select‹ statt, kurz nach zehn, Friedli hatte sich endlich entfernt, und auch ich hatte mich erhoben, um den Brief an Kohler einzuwerfen, aber ich war wohl schon nicht mehr so ganz entschlossen, und da trat Lienhard auf, genauer, fuhr vor. In einem Porsche. Er stoppte. Er kannte mich von meiner Studentenzeit her, er hatte ebenfalls Jura studiert, wenn auch nur ein Semester, hatte mir auch einmal das Angebot gemacht, bei ihm einzutreten, aber ich hatte abgelehnt.
    »Rechtsanwalt«, sagte er, ohne mich anzusehen, am Steuer seines offenen Porsche, »etwas für mich?«
    »Möglich«, antwortete ich.
    »Einsteigen«, forderte er mich auf.
    Ich gehorchte.
    »Ein schneller

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