Justiz
Wagen«, stellte ich fest.
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»Fünftausend«, bemerkte Lienhard und meinte damit, daß er den Porsche für soviel hergeben wolle. Er besaß viele Wagen, manchmal schien es, er fahre jeden Tag mit einem anderen herum.
Dann erzählte ich ihm meine Begegnung mit dem alten Kohler.
Lienhard fuhr den See entlang, das war seine Angewohnheit, die wichtigsten Geschäfte wickelten sich in seinem Wagen ab. »Keine Zeugen«, erklärte er einmal. Er fuhr gleichmäßig, peinlich genau und hörte aufmerksam zu. Als ich geendet hatte, hielt er an. In Uetikon.
Vor einer Telefonkabine.
»Einträglich«, erklärte er, »Recherchen?«
Ich nickte. »Falls ich annehme.«
Er ging in die Telefonkabine, und als er wieder zurückkam, meinte er: »Seine Tochter ist zu Hause.«
Dann fuhren wir in die Weinbergstraße, parkten vor Kohlers Villa.
»Hineingehen«, forderte mich Lienhard auf.
Ich stutzte. »Ich soll den Auftrag annehmen?«
»Natürlich.«
»Zu undurchsichtig«, gab ich zu bedenken.
Er zündete sich eine Zigarette an. »Wenn Sie den Auftrag nicht annehmen, wird ihn ein anderer annehmen«, sagte er und hielt damit geradezu eine Rede.
Ich stieg aus. Neben dem großen Eingangsportal war im schmiedeeisernen Gitter ein öffentlicher Briefkasten befestigt, glänzte gelb. Mahnend. Der Absagebrief befand sich noch in meiner Tasche. Ich wußte, was meine Pflicht war. Aber warum sollte ich eigentlich den Auftrag Kohlers zurückweisen, den Charaktervollen spielen? Ich hatte Geld nötig, basta. Das lag nicht auf der Straße, da mußte schon eine Chance kommen, und nun war sie da. Ich mußte repräsentieren, wollte ich als Rechtsanwalt Erfolg haben. Architekt Friedli hatte recht, und ich wollte Erfolg haben. Und dann: Der Auftrag Kohlers war im Grunde doch wirklich harmlos, mehr ein wissenschaftliches Unternehmen, er konnte sich solche Extravaganzen leisten.
»Fünftausend wollen Sie für den Porsche?«
»Vier«, antwortete Lienhard.
»Großzügig.«
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»Liegt am Auftrag.«
»Den haben Sie doch nicht nötig.«
»Macht Spaß.«
»Ich will zuerst einmal mit Kohlers Tochter reden«, sagte ich.
»Ich warte«, antwortete Lienhard.
Ansprache an den Staatsanwalt: Es läßt sich nicht mehr vermeiden.
Ich muß auf meine erste Begegnung mit Hélène kommen. Ein schmerzliches Unternehmen, mit Umsicht zu wagen und nicht zu umgehen. Auch wenn Privates zur Sprache kommen muß. Endlich, denn Sie werden es mit Interesse lesen und anstreichen. Sie: Ganz recht, damit sind Sie gemeint, Herr Staatsanwalt Joachim Feuser.
Zucken Sie nur ruhig zusammen. Warum nicht persönlich werden, als Nachfolger Jämmerlins werden Sie ja doch nach dem Kommandanten diese Zeilen als zweiter lesen – was Sie hiermit auch tun –, und es bereitet mir in diesem Augenblick einen Höllenspaß –
wahrscheinlich im doppelten Sinne des Wortes –, Sie gleichsam vom Jenseits her zu grüßen. Ehrlich: Sie sind ein pedantisches Exemplar Ihrer Gattung, auch wenn Sie sich im Gegensatz zum seligen Jämmerlin fortschrittlich geben und in jede psychologische Tagung laufen. Sie lieben Belege. Eben haben Sie mich ordnungshalber in der Leichenhalle besichtigt, in Ihrem hellen Regenmantel, den Hut höflicherweise in der Hand und die Miene amtlich düster, der Selbstmord ist sauber durchgeführt, das müssen Sie zugeben, aber auch bei Kohler habe ich kunstgerechte Arbeit geleistet, es sieht sehr feierlich aus, wir beide so nebeneinander. Doch zurück nun aus Ihrer Gegenwart, die für mich in der Zukunft liegt, in meine für Sie vergangene Gegenwart. So überschneiden sich die Zeiten. Kapiert?
Glaube nicht. Höchstens verärgert. Ich habe mich sorgfältig vorbereitet.
Erstens historisch, architektonisch, philosophisch: Fürs Innenleben Wichtiges verlangt einen genauen Rahmen. Auch in geschichtlicher Hinsicht. So habe ich mich denn über die Kohlersche Villa genau 55
informiert. Ich forschte sogar in der Zentralbibliothek nach. Das Gebäude stellte sich als die ehemalige Residenz Nikodemus Molchs heraus. Nikodemus Molch, Denker des anbrechenden zwanzigsten Jahrhunderts, mosesbärtiger Europäer Ungewissen Herkommens und Ungewisser Nationalität (nach den einen der legitime Sohn Alexanders des Dritten mit einer australischen Sängerin, nach den anderen eigentlich der wegen Unzucht mit Kindern vorbestrafte Sekundarlehrer Jakob Hager aus Burgdorf), betrieb eine von reichen Witwen und schöngeistigen Obersten finanzierte freie Akademie, korrenspondierte mit dem alten
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