Justiz
doch ohne Spott, wie es schien, humorlos und hart, und führte mich zum zweiten Tisch, wo Dr. Benno und Professor Winter spielten, die mir beide bekannt waren, der Professor von der Universität her – er war Rektor, als ich immatrikulierte –, Dr. Benno von der Welt des Nachtlebens her, das in unserer Stadt herrschte, zwar damals nur bis Mitternacht, doch dafür nicht ohne Intensität. Sein Beruf war unbestimmt. Einmal war er Olympiasieger im Fechten – weshalb man ihn den Olympia-Heinz nannte –, einmal Schweizermeister im Pistolenschießen gewesen und war immer noch ein bekannter Golfspieler, einmal hatte er eine Galerie geführt, die nicht rentierte. Jetzt hieß es, er solle der Hauptsache nach Vermögen verwalten.
Ich grüßte, sie nickten.
»Winter ist ein ewiger Anfänger«, sagte Dr. h.c. Kohler.
Ich lachte. »Sie sind wohl ein Meister?«
»Gewiß«, antwortete er ruhig, »Billard ist meine Passion. Geben Sie das Queue mal her, Professor, den Stoß schaffen Sie nicht.«
Professor Adolf Winter gab ihm den Billardstock. Er war ein sechzigjähriger, schwerer, doch eher kleingewachsener Mann, mit leuchtender Glatze, goldener randloser Brille, gepflegtem schwarzem Vollbart mit weißen Strähnen, den er würdevoll zu streichen pflegte, stets sorgfältig, nicht unraffiniert konservativ gekleidet, einer der humanistischen Schwadroneure, die unsere Universität bevölkern, Mitglied des PEN-Clubs und der Usteri-Stiftung, Autor des zweibändigen Schmökers ›Carl Spitteler und Hesiod oder Schweiz und Hellas. Ein Vergleichs Artemis 1940‹ (als Jurist geht mir seit jeher die philosophische Fakultät auf die Nerven).
Der Kantonsrat bearbeitete die Lederkuppe sorgfältig mit Kreide.
Seine Bewegungen waren ruhig und sicher, und so schroff auch seine Sätze fielen, wirkte doch nichts an ihm arrogant, nur bewußt und gelassen, alles deutete auf Macht und Unbeirrbarkeit. Er betrachtete 9
den Billardtisch mit leicht geneigtem Kopf, tat dann den Stoß entschlossen und schnell.
Ich folgte dem Rollen der weißen Kugeln, ihrem Aufprallen und Zurückstoßen.
»A la bande. So muß man den Benno schlagen«, meinte der Kantonsrat, indem er den Billardstock Professor Winter zurückgab.
»Kapiert, junger Mann?«
»Ich verstehe nichts davon«, antwortete ich und wandte mich dem Grog zu, den der Kellner auf ein Tischchen gestellt hatte.
»Einmal werden Sie es schon begreifen«, lachte Dr. h.c. Isaak Kohler, nahm eine Zeitungsrolle von der Wand und entfernte sich.
Der Mord: Was sich dann drei Jahre später ereignete, ist bekannt und kann schnell erzählt werden (auch nüchtern brauche ich dabei nicht unbedingt zu sein). Dr. h.c. Isaak Kohler hatte sein Mandat niedergelegt, obschon seine Partei ihn zum Regierungsrat vorschlagen wollte (nicht zum Bundesrat, wie einige ausländische Zeitungen schrieben), hatte sich überhaupt aus der Politik zurückgezogen (von seiner Anwaltspraxis schon längst), verwaltete einen Ziegeltrust, der immer weltweitere Dimensionen annahm, linkerhand, amtete als Präsident verschiedener Verwaltungsräte, wirkte auch in einer Kommission der UNESCO, man sah ihn manchmal monatelang nicht in unserer Stadt, bis er an einem ungebührlich frühlingshaften Märztag im Jahre 1955 den englischen Minister B. durch unsere Stadt führte. Dieser Minister war privat gekommen, man hatte in einer Privatklinik sein Magengeschwür behandelt, nun saß er neben dem Alt-Kantonsrat in dessen Rolls-Royce und ließ sich, bevor er zurückflog, widerwillig doch noch die Stadt zeigen, vier Wochen hatte er sich standhaft geweigert, um sich nun zu fügen, sah gähnend nach den Sehenswürdigkeiten, die sich vorbeischoben, nach der Technischen Hochschule, der Universität, dem Münster, romanisch (der Kantonsrat lieferte Stichworte), der Fluß zitterte in der weichen Luft (die Sonne ging eben unter), der Quai war voller Menschen. Der Minister nickte ein, auf den Lippen noch den Geschmack der unzähligen Kartoffelpürees und der 10
Birchermüeslis, die er in der Privatklinik genossen hatte, während er nun schon von Whisky pur träumte und die Stimme des Kantonsrats wie von weitem hörte, das Rollen des Verkehrs als ein noch ferneres Rauschen; eine bleierne Müdigkeit war in ihm und vielleicht schon die Ahnung, daß die Magengeschwüre doch nicht so harmlos seien.
»Just a moment«, sagte Dr. h.c. Isaak Kohler und ließ den Chauffeur Franz vor dem ›Du Théâtre‹ anhalten, stieg aus, wies ihn an, eine Minute zu warten,
Weitere Kostenlose Bücher