Juwel meines Herzens
Späne, wie man so schön sagt.«
Nolan kratzte sich an der Stirn. Der scharfe Geschmack seiner Vergangenheit war plötzlich wieder so präsent wie an dem Tag, als er Nassau verlassen hatte. Sich jahrelang zu verstecken, hatte nichts daran geändert. »Wenn Ihr Euch mir unbedingt anschließen wollt, Wayland, dann gelten auch meine Regeln. Ich will nichts mehr von Bellamy oder dem Piratenleben hören. Die Zeiten sind vorbei. Ein für alle Mal. Ich bin ein Freibeuter, und meine Loyalität gilt einzig den Kolonien.«
»Nun gut, ich schlage ein. Aber ich will dich nicht belügen, mein Junge. Mein einziger Ehrgeiz ist es, den Schatz zu finden – und hinterher meinen Anteil zu kassieren. Ich befolge deine Befehle, weil du der Captain bist, aber ich teile nicht deine Moral.«
Nolan wusste nicht recht, ob er die Auseinandersetzung mit Wayland gewonnen oder verloren hatte. Doch er hatte keine andere Wahl: Er konnte ihn nicht in Charles Town zurücklassen, jetzt, da er um Jewel wusste. Außerdem war Wayland der beste Schiffsschreiner weit und breit. In der Schlacht, da hatte er recht, würde sein junger Rekrut nutzlos sein. Wayland dagegen war erfahren und kannte sich in diesen und ähnlichen Situationen aus. Außerdem konnte er ihn an Bord der
Integrity
im Auge behalten, ein nicht zu unterschätzender Vorteil.
Er leerte seinen Krug und erhob sich. »Ich erwarte Euch bei Dämmerung an Bord der
Integrity,
oder möchtet Ihr mich gleich begleiten?«
Wayland zwinkerte erheitert. »Lieber morgen früh. Ich muss mich noch verabschieden, wenn du verstehst, was ich meine.«
Nolan zog seine Handschuhe an. »Ich werde Jewel noch einmal ins Gewissen reden und versuchen, an die Karte zu gelangen, ehe wir Segel setzen. Aber dieses Mal werde ich es anders anfangen.« Nicht dass er in diesem Moment bereits gewusst hätte, wie, aber dass er unbedingt in den Besitz der Karte kommen musste, war ein unleugbarer Fakt. Er konnte es sich nicht leisten, Jewel noch mehr Zeit zu geben. Zum zweiten Mal, seit sie sich kannten, war ihr Leben in Gefahr, und nur Nolan konnte sie schützen.
Wayland legte den Kopf zur Seite und betrachtete ihn. »Du hast wohl eine Schwäche für Bellamys Mädchen, was?«
Das war eine wüste Untertreibung. Mit einer Schwäche würde er besser zurechtkommen. »Ich muss die Karte bekommen, oder etwa nicht?« Er griff nach seiner Jacke und streifte sie sich über, während Wayland ihn prüfend musterte.
»Und ich wette, du weißt auch schon genau, wie du das anstellen wirst, oder etwa nicht, Nolan? Bei Frauen hattest du doch schon immer ein gutes Händchen.« Der Pirat schaute in seinen leeren Krug und winkte dem Mädchen, ihm nachzuschenken.
»Das war einmal, die Zeiten haben sich geändert.«
Wayland grinste scheel. »Aber du nicht.«
Nolan drehte sich zum Ausgang. Sollte Wayland doch denken, was er wollte. Vielleicht würde er sich auch hinterher so betrinken, dass er ihre beiden kurzen Begegnungen vergaß.
Wohl kaum. Zur Hölle.
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Kapitel drei
N olan sicherte das Ruderboot und kletterte die Strickleiter hinauf, deren Ende dicht über dem Wasser baumelte. »Mr. Tyrell!«, rief er, als er über die Reling aufs Deck stieg. »Anker lichten! Wir segeln in einer halben Stunde. Am Hafen tummeln sich Zwangsrekrutierer.«
Ihnen blieb keine andere Wahl, als ohne die Karte auszulaufen. Als er seinen Fuß auf die Pflastersteine der Queen Street gesetzt hatte, hatte er sich beim Anblick von drei Seesoldaten, die einen Mann zum Anleger schleppten, sofort zurückgezogen. Zweifellos der Grund, warum die Engländer gestern das »Quail and Queen« aufgesucht hatten: Sie hatten nicht nur nach Fahnenflüchtigen, sondern auch nach Männern gesucht, die anstelle der nicht aufzufindenden Mitglieder an Bord gehen sollten – kein ungewöhnliches Vorgehen.
Nolans Ankerplatz war nicht abgelegen genug, als dass ihn so eine Suche kaltlassen würde. Er konnte nicht riskieren, dass sein Schiff, das für den Krieg und nicht für den Handel ausgerüstet war, von den Briten entdeckt wurde. Bis er seinen Kaperbrief hatte, konnte er noch immer des Verrats und der Piraterie angeklagt werden.
Er machte sich an der Seilwinde zu schaffen, so dass sich das Ruderboot aus dem Wasser hob, wobei er es vermied, sich zu seinem dienstbeflissenen Leutnant umzudrehen, denn Parker Tyrell neigte dazu, sich an seine Fersen zu heften.
»Aber das ist illegal. Wie können sie so etwas nur tun?«, ertönte denn auch gleich die Stimme des Leutnants
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