Juwel meines Herzens
ich gerade nicht anderweitig verpflichtet bin. Nach all den Jahren mit Bellamy ist es zwar schwierig, dem Kommando eines niedriger Gestellten zu folgen, aber du bist eine Ausnahme: Auf deinem Schiff würde ich mit stolzer Brust segeln. Bellamy hat dich wie seinen Sohn behandelt.«
Nolans Lächeln verblasste. »Nein, das hat er nicht.«
»Aber er war dir ein guter Lehrer. Du warst der Beste von allen, so gut wie Bellamys –«
»Wayland, ich glaube kaum, dass Euch das Schiff, das ich befehligen werde, gefallen wird. Ich will gegen die Engländer kämpfen, sonst nichts. Nicht rauben und nicht plündern.« Alle Unbeschwertheit, die ihn sich eben noch so leicht hatte fühlen lassen, fiel von Nolan ab. In den Jahren seines Rückzugs hatte er sich nur auf die Gewalt in seinem früheren Leben konzentriert. Wissentlich hatte er nie eine Frau gegen ihren Willen genommen, aber jetzt begann er sich zu fragen, ob er vielleicht so sehr in Gedanken über sein eigenes Leben verstrickt gewesen war, dass er gar nicht gemerkt hatte, dass sich die Frauen nur aus Angst nicht wehrten. Aber wahrscheinlich war er von Natur aus einfach feinfühliger als die anderen – was nicht weiter schwierig war, wenn man sich seine Kameraden ansah –, und die Frauen hatten das gespürt.
Auch hatte er nie willfährig getötet, aber auf Bellamys Befehl hin hatte er etliche Knochen brechen müssen, um sich einen gewissen Ruf zu verschaffen. Nein, Nolan konnte es sich nicht erlauben, sich erneut gehenzulassen, sosehr es ihn in mancher Situation auch reizte.
Gewährte man sich eine Freiheit, würden bald darauf auch alle anderen Schranken fallen.
»Wer ist dein Schreiner?«, fragte Wayland.
Nolan nippte an seinem dritten Bier, mittlerweile war er vorsichtiger geworden. »Ihr kennt ihn nicht. Er ist jung und hat gerade erst seine Lehre bei einem der besten Baumeister in Boston abgeschlossen.«
Wayland schnaubte verächtlich. »Hat er schon mal eine Schlacht miterlebt?«
Aber Nolan hatte nicht vor, ihm auf die Nase zu binden, wie unerfahren seine Besatzung war. Ausweichend antwortete er: »Ich will keine Piraten an Bord meines Schiffes. Ich habe vor, die Engländer zu schikanieren, wo es nur geht. Wie ich Euch hoffentlich schon deutlich genug gemacht habe: Mir geht es nicht ums Plündern, und ich dulde niemanden an Bord, der es darauf abgesehen hat.«
Wayland zwinkerte mit seinem braunen Auge. »Es geht dir um Captain Kents Schatz, nicht wahr? Sonst hättest du Bellamys Tochter heute keinen Besuch abgestattet.«
Nolan zügelte seine Überraschung, bevor sie sich auf seinem Gesicht widerspiegelte. Die Bemerkung schnürte ihm die Kehle zu. Er hätte wissen sollen, dass das der wirkliche Grund gewesen war, warum Wayland ihm eine Nachricht geschickt hatte, in der er um ein Treffen bat.
Der Pirat grinste breit. Dass er kaum noch Zähne hatte, schien ihn nicht im Geringsten davon abzuhalten. »Ich war mir nicht sicher, was mit der Schatzkarte passiert ist, aber jetzt weiß ich es. Und ich komme mit dir.«
Nolan blickte schnell über seine Schulter. Seine alten Instinkte waren zurückgekehrt. Hatte Wayland in seiner Nähe Verbündete plaziert, die nur darauf lauerten, sich auf ihn zu stürzen? In dieser Spelunke wäre es ein Leichtes, ihm einen Dolch in die Rippen zu stoßen und ihn hinaus auf die Gasse zu tragen. Niemand würde es bemerken oder sich darum kümmern. Er hatte sich geschworen, davon abzulassen, dennoch fasste er aus alter Gewohnheit nach dem Dolch, den er jedoch nicht bei sich trug. Sich unbewaffnet an einen solchen Ort zu begeben, war wirklich eine dumme Idee gewesen.
»Lasst sie in Ruhe«, brummte er so bedrohlich wie möglich, um darüber hinwegzutäuschen, dass er unbewaffnet und damit eine leichte Beute war.
Wayland machte eine wegwerfende Geste. »Ich werde dem Mädchen nichts tun. Und du brauchst dich auch nicht umzusehen: Ich habe keine Kumpanen dabei, die über dich herfallen werden, sobald du auf die Straße hinaustrittst. Ich bin nicht so naiv zu glauben, dass ich die Karte ohne dich lesen könnte. Sonst hätten wir den Schatz schon mit Bellamy gehoben.«
Obwohl Nolan sich jetzt zurücklehnte, war er noch immer angespannt. Bei dem Treffen mit Jewel war er nicht gerade klug vorgegangen. Ihre Sturheit hatte ihn überrascht. Das und eine Welle der Schuld, die ihn unerwartet überfiel und kurzzeitig verwirrte, als er in ihre glasklaren grünen Augen geblickt hatte. Immer hatte er geglaubt, sie vor ihrem Vater zu schützen,
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