K. oder Die verschwundene Tochter - Roman
werden. Dass es mir gut geht wie allen anderen. In meinem Kopf ist es immer so laut, ich will diesen Krach aus meinem Kopf raus kriegen, und ich schaffe es nicht. Ich hätte gern einen festen Freund, möchte mich amüsieren, aber die Kolleginnen fragen mich nicht mehr, sie sagen, dass ich ihnen auf die Nerven gehe, dass ich immer schlecht drauf bin …«
Die Therapeutin spürt Mitleid; dieses Mädchen ist so alt wie ihre Tochter. Sie fragt:
»Waren Sie denn in irgendeiner Behandlung, bevor die Firmenleitung Sie zur Untersuchung hergeschickt hat?«
»Ich nehme Schlaftabletten; der Betriebsarzt gibt mir das Rezept, die Tabletten kriege ich nicht ohne Rezept, aber sie helfen von Tag zu Tag weniger.«
Die junge Frau hält ein paar Sekunden inne, dann fährt sie etwas energischer fort:
»Es gibt etwas, das ich nicht gesagt habe; wenn ich nervös werde, fange ich an zu bluten, als ob ich meine Tage hätte … Es reicht, wenn der Chef mir einen Rüffel verpasst oder jemand etwas lauter wird oder irgendetwas anderes mich aufregt, und schon beginne ich zu bluten, das ist der Hauptgrund, dass sie mich nicht ertragen. Bevor ich bei der Firma angefangen habe, hatte ich schon ab und zu diese Blutungen, aber es ist schlimmer geworden, vorher war es nur, wenn ich wirklich große Angst bekam, wenn mich die Panik packte; jetzt reicht irgendeine Kleinigkeit, und es geht los. Die ganze Zeit muss ich vorbereitet sein, so, als würde ich meine Tage bekommen.«
Während sie vorgibt, die Karteikarte zu studieren, fragt die Therapeutin beiläufig:
»Jesuína, wer sind denn die da oben, die Ihnen diese Stelle verschafft haben?«
Die junge Frau blickt zu Boden und antwortet nicht. Die Therapeutin wiederholt die Frage und schaut dabei der Frau, die weiterhin schweigt, direkt ins Gesicht.
»Jesuína, ich bin hier die Ärztin, nicht die Chefin, und hier ist auch nicht die Firma, hier ist das INSS, das Institut für Soziale Versicherung, das hat nichts mit dem Arbeitgeber zu tun, ich bin nicht verpflichtet, Informationen weiterzugeben, ich kann Ihnen nur helfen, wenn Sie mir gegenüber offen sind. Ich weiß, dass es schwer fällt, über bestimmte Dinge zu reden, aber Sie müssen es versuchen … Jesuína, was ist das für ein Lärm, den Sie aus Ihrem Kopf heraus haben möchten, was genau möchten Sie aus Ihrem Kopf heraus haben?«
Die junge Frau schweigt, nur ihre Schultern fallen nach vorn, sie schaut noch immer zu Boden.
»Jesuína, wenn sogar von vorzeitiger Rente aus Krankheitsgründen die Rede war, dann ist bei Ihnen etwas wirklich nicht in Ordnung, es geht also um Ihre Gesundheit, wie Sie selbst gesagt haben. Sie sind erst 22 Jahre alt … «
Jesuína hüllt sich noch immer in Schweigen. Die Therapeutin fühlt sich irritiert und sagt mit kontrollierter Stimme, um nicht laut zu werden:
»Und noch etwas, das hier ist eine öffentliche Dienststelle, das bedeutet nicht, dass ich Sie schlechter behandle als einen Privatpatienten, aber hier stehen Schlangen von Menschen, die auch behandelt werden möchten, und wenn Sie nicht mitmachen, kein Wort sagen, dann muss ich den anderen diese Zeit widmen, ich verschreibe Ihnen die Tabletten zum Schlafen und dann noch Tabletten zum Munterwerden, bestelle Sie nach sechs Monaten wieder her und basta … Ist es das, was Sie wollen?«
Jesuína scheint zu zögern, antwortet aber noch immer nicht.
»Jesuína, ist es das, was Sie wollen?«
Endlich gibt sich das Mädchen einen Ruck, doch die Stimme ist leise, kaum zu hören, das Tempo langsam.
»Wer mir die Stelle verschafft hat, war ein Kommissar, Kommissar Fleury.«
»Der Fleury von der Todesschwadron? Reden Sie von dem, Jesuína? Von Sérgio Paranhos Fleury?«
Verblüfft steht die Therapeutin auf, bleibt aber nicht stehen, um das Mädchen nicht einzuschüchtern, sondern setzt sich langsam wieder hin. Sie befürchtet, sich auf gefährliches Terrain zu begeben. Aber ihre Neugier gewinnt die Oberhand über die Angst. War es möglich, dass das, was das Mädchen sagte, wirklich stimmte?
»Ja, genau der. Ich habe ab und zu für den Fleury gearbeitet; nachdem alles zu Ende war und das Haus geschlossen wurde, hat er mir die Stelle hier besorgt. Er war eng befreundet mit dem Inhaber der Firma, ein Ausländer, Doktor Alberto. Dieser Ausländer wurde von Terroristen umgebracht. Aber Fleury hat mit den anderen Firmenchefs gesprochen, und sie haben mir einen Vertrag gegeben.«
Die Therapeutin versucht, ihr Erstaunen zu verbergen; sie tut so, als ob sie
Weitere Kostenlose Bücher